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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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dafür. Und, die Gitterstäbe, die habe ich nicht durchgesägt, ich war es nicht!«
    Der Direktor blickt ihn erstaunt an. Aber er hat keine Lust, die alte Geschichte wieder aufzurollen und winkt nur müde ab:
    »Ja, ja, ist schon recht! Lassen wird das!«
    Das war leichter gesagt als getan, denn noch im selben Jahr erleiden die beiden nächsten Häftlinge der Zelle 341 das gleiche Schicksal wie ihr Vorgänger. Genau die gleichen Anfälle. Haargenau die gleichen. Drei Simulanten innerhalb so kurzer Zeit, das ist zuviel! Und so wird die »341« zum Gesprächsstoff Nummer eins. Für die Häftlinge wie für die Wärter. Es wird viel erzählt und viel dazugedichtet — bald entsteht eine gruselige Legende um die »Zelle der Tobsüchtigen«.
    Der alte Laperre spielt eine wesentliche Rolle dabei:
    »In meinen dreißig Dienstjahren hab’ ich mindestens zwanzig Kerle gehabt, die von der 341 direkt in die Klapsmühle gekommen sind! Wenn ihr mich fragt, in diesem verfluchten Loch geht es nicht mit rechten Dingen zu!«
    Besorgt, diese dumme Angelegenheit könne die Gemüter noch mehr erregen und am Ende sogar seinem guten Ruf schaden, entschließt sich der Direktor, etwas zu unternehmen: Er wendet sich an Dr. Louis, den Gefängnisarzt, und bittet ihn, eine kurze, leichtverständliche, aber dennoch schön wissenschaftliche Abhandlung über den Fall zu verfassen:
    »Doktor, Sie wissen schon, was wir brauchen! Fakten gegen Hirngespenster! Also, Simulation, Verfolgungswahn, Klaustrophobie, Schuldgefühl und Selbstzerstörung. Das Übliche halt!«
    »Herr Direktor, ich bedauere, aber eine fachmännische Beurteilung dieser drei aufeinanderfolgenden Fälle übersteigt bei weitem meine Kompetenz. Ich fürchte nämlich, wie haben es hier eben nicht mit dem Üblichen zu tun! Ich möchte einen Kollegen zu Rate ziehen.«
    So wird Dr. Raimbaud — Professor für Parapsychologie an der Pariser Medizinischen Fakultät — mit dem rätselhaften Innenleben der »Zelle der Tobsüchtigen« betraut. Da der Gefängnisdirektor sich allerdings wenig kooperativ erweist, schaltet der Professor das Justizministerium ein und erscheint eines Tages höchstpersönlich in Fresnes mit einem offiziellen Schreiben vom Minister selber. Darin steht:
    »Kraft meines Amtes erteilte ich hiermit Herrn Dr. Raimbaud die Erlaubnis zur Durchführung seiner Studie in der Strafanstalt von Fresnes. Seinem Wunsch entsprechend soll er in der Zelle 341 untergebracht werden und dort das normale Leben eines Inhaftierten führen. Über die Dauer des Experiments haben nur er oder seine Mitarbeiter zu entscheiden...«
    Wie jeden Abend lösen sich die Assistenten vor der Nachtschicht am Bildschirm ab: »Und? Gibts was Neues?«
    »Nein. Nichts Besonderes.«
    Auf dem Monitor ist Raimbaud undeutlich zu erkennen. Er liegt auf der Pritsche und schläft ruhig, wie schon gestern und vorgestern — wie seit einer Woche schon. Doch mitten in dieser Nacht hört der Assistent plötzlich ein leises Geräusch. Er schiebt sofort den Lautstärkeregler ganz nach oben und vernimmt jetzt deutlich ein Schluchzen, dann ein Murmeln: »Collonges... Collonges...« Dr. Raimbaud wiederholt diesen Namen immerzu — und er weint dabei.
    Als er am nächsten Morgen aufwacht, ist er in bester Verfassung und scheint sich an nichts zu erinnern. Wie vorher besprochen, sagen ihm seine Assistenten kein Wort über den nächtlichen Vorfall. In den nächsten sieben Nächten verfolgt die Kamera den zunehmend unruhigen Schlaf des Professor. Er zuckt, bekommt Krämpfe, und er träumt unentwegt: man ahnt — es wird etwas passieren.
    In der Nacht vom dritten auf den vierten Februar ist es dann soweit: Der Assistent beobachtet auf dem Bildschirm, wie Raimbaud plötzlich aus dem Bett springt, einen Hocker nimmt, ihn unter das Fenster stellt, darauf steigt und mit großer Anstrengung aus dem Fenster lugt. Sein Gesicht ist von Angst entstellt, wie bei jemandem, der genau weiß, daß seine letzte Stunde geschlagen hat. Der Assistent verständigt sofort die anderen: Sein Kollege, der Direktor, der Oberaufseher — alle kommen angelaufen und verfolgen nun auf dem Bildschirm das fürchterliche Schauspiel, das in Zelle 341 abläuft: Raimbaud springt vom Hocker, rennt gegen die Eisentür, legt sein Ohr ganz dicht an das Schloß und horcht gespannt. Er bebt vor Angst. Dann weicht er mit einem Sprung zurück und drückt sich an die Wand. Mit beiden Händen umschließt er seinen Hals und schreit: »Nein, ich will nicht sterben!«
    Schon

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