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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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dritte Gefängnisdirektor schläft nicht in seinem Büro, sondern im Schlafzimmer seiner Dienstwohnung in einem Nebengebäude der Strafanstalt. Es trommelt an seine Tür:
    »Herr Direktor! Schnell, kommen Sie! Der Sanchez ist weg!«
    Ja, dieses Mal hat der Gefangene nicht die letzte Nacht abgewartet, in der die Sache völlig unmöglich gewesen wäre. Er hat lieber vier Tage vorher das Weite gesucht — anscheinend in aller Ruhe — und vor der Nase seiner Bewacher!
    Es erübrigt sich, noch einmal die Suchaktion zu beschreiben! Nur im Justizministerium von Caracas ist man entschlossen, andere Seiten aufzuziehen: Massenverhaftung! Alle Wärter, der Gefängnisdirektor — und der Gerechtigkeit halber auch die beiden vorherigen Direktoren — wandern sofort selber ins Gefängnis. Die Kriminalpolizei ist nämlich endlich auf die Idee gekommen, die drei Fälle miteinander zu vergleichen — und sie ist dabei stutzig geworden: Alle drei Verurteilten hatten Raubmord begangen, und ihre Beute wurde nie gefunden. Wäre es nicht vorstellbar, daß sie das ganze Gefängnis mitsamt dem jeweiligen Direktor bestochen haben, um ihre Haut zu retten? Daran mag zwar keiner recht glauben, aber angesichts der bodenlosen Tatsachen wäre es immerhin eine logische Erklärung.
    Alle Inhaftierten beteuern ihre Unschuld, aber sie werden nicht freigelassen. Früher oder später werden sie sicherlich ein Geständnis ablegen. Sie müssen sich einfach der Bestechlichkeit und Beihilfe zur Flucht schuldig gemacht haben — alle miteinander. Sie sollen nun in den Zellen schmoren, die sie früher bewacht haben... so lange, bis einer dieser korrupten Beamten singt! Und wenn es Monate dauert!
    Tatsächlich dauert es fast ein halbes Jahr lang, bis die Wahrheit ans Licht kommt — eine unglaubliche Wahrheit auf die niemand auch nur im Traum hätte denken können...
     
    18. März 1957. Fünf Monate sind seit dem letzten Ausbruch und der Massenverhaftung vergangen. In der Zwischenzeit ist nichts Außergewöhnliches geschehen, und Calabares ist wieder zu dem geworden, was es früher einmal war, zu der Zeit, als keine Hinrichtungen dort stattfanden: Eine kleine Provinzstadt am Fuße einer idyllischen Bergkette südlich vom Golf von Maracaibo. An diesem Tag passiert jedoch wieder etwas, worüber die ganze Weltpresse berichtet: Innerhalb weniger Minuten wird Calabares durch ein Erdbeben zum größten Teil zerstört. Die Straßen werden aufgerissen, und unzählige Gebäude stürzen wie Kartenhäuser ein; auch die hohen Mauern des Gefängnisses fallen zusammen. Quer durch den Hof läuft jetzt eine klaffende Wunde, drei bis vier Meter tief — sie führt direkt zum rechten Flügel der Anstalt, dorthin, wo sich im Erdgeschoß die Todeszelle befindet. Die Decke ist eingestürzt, der Boden ist aufgeworfen, und dadurch ist der Eingang zu einem unterirdischen Tunnel freigelegt. Also... so sind die drei Gefangenen entkommen! Aber warum ist dieser Geheimgang bei der Untersuchung übersehen worden?
    Ganz einfach — von der Zelle aus war es unmöglich, den schweren, sehr starken losen Stein zu heben. Es war auch unmöglich, ihn beim Abklopfen vom übrigen Boden zu unterscheiden. Niemand hätte auf die Idee kommen können: hier gibt es einen geheimen Fluchtweg. Auch die Gefangenen nicht.
    Die Polizisten klettern hinunter in den Tunnel und entdecken genau unter der Zelle einen Hebemechanismus, der nur von unten betätigt werden konnte. Irgend jemand hat diesen Tunnel gebaut und die drei Verurteilten aus der Zelle 19 befreit. Aber wer! Und warum? Und wie konnte er den unterirdischen Gang samt Mechanismus und beweglichem Steinquader in der Zelle bauen?
    Die Polizisten zwängen sich durch den Tunnel, der erst allmählich breiter wird. Und sie staunen über die solide Mauerarbeit! Wer einen Fluchtweg unter einem Gefängnis ausbuddelt, macht sich normalerweise kaum die Mühe, die Wände mit Zement zu verputzen. Sie dringen noch einige Meter vor und kommen in einen Raum, in dem man fast aufrecht stehen kann. Im Schein ihrer Taschenlampen entdecken sie in einer Ecke drei übereinandergestapelte große Hanfsäcke! Sie brauchen sie nicht zu öffnen — sie wissen auch so, was darin liegt: die Leichen der drei Verurteilten! Und wenn die Erde heute nicht gebebt hätte, wären sie wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit hier begraben geblieben! Die hätte man noch lange in Venezuela und in aller Welt suchen können! Sie sind tatsächlich an dem Tage gestorben, an dem sie hingerichtet werden

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