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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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betrat den Besprechungsraum, gefolgt von Hernáns Sekretärin Vera, die rasch an ihren Platz ging und sich setzte. Sie trug
     eine große Sonnenbrille und ein Kostüm in auffälligem Rot und spielte nervös mit einem Kugelschreiber herum. Isabel begriff
     sofort, dass da etwas nicht stimmte. Rai blieb neben dem leeren Platz seines Chefs am Kopfende des Tischs stehen, räusperte
     sich und wandte sich dann an die Versammelten:
    »Liebe Kollegen, leider muss ich euch mitteilen, dass Señor Hernán heute nicht kommen kann. Unser Meeting fällt aus.«
    Alle sahen einander perplex an.
    »Ist Señor Hernán etwas passiert?«, fragte ein Kollege.
    »Nein, nein, er musste nur in einer Familienangelegenheit verreisen.«
    Isabel sah zu Vera hinüber. Obwohl sie am anderen Ende des Tisches saß, hätte Isabel schwören können, dass ihr die Hände zitterten.
     Es war nicht die Art ihres Chefs, seine Mitarbeiter vor den Kopf zu stoßen, und das Meeting war allzu wichtig, um es ohne
     triftigen Grund platzen zu lassen.
    »Und was machen wir dann mit dem Bericht?«, erkundigte sich Isabel.
    Es lag auf der Hand, dass ohne den Abteilungsleiter keine abschließende Entscheidung gefällt und nach oben kommuniziert werden
     konnte. Aber sie wollte die Chance nutzen, um das Thema mit den anderen zu besprechen. Anderenfalls würde Rai mit seiner Meinung
     Oberwasser bekommen.
    »Isabel«, sagte er jetzt in einem Ton, dass man hätte meinen können, er würde sich an ein verzogenes kleines Mädchen wenden,»wir wissen, dass du eine Menge Arbeit in das Thema gesteckt hast, aber ohne Hernán gibt es kein Meeting. Er wird entscheiden,
     was zu tun ist.«
    Sie wollte widersprechen, denn es war klar, dass Rai sie vorführen wollte, doch da stand Vera auf, flüsterte Rai etwas zu
     und verließ den Raum durch dieselbe Tür, durch die sie gekommen war. Im Gehen schlug sie die Tür hinter sich zu.
    »Ich halte euch auf dem Laufenden.«
    Mit diesen Worten rauschte Rai ohne jede weitere Erklärung hinaus.
    Hugo war der Einzige, der sich nicht fassungslos zeigte.
    »So, so, macht der gute Alberto auf seine alten Tage noch blau«, sagte er, als die Tür hinter Rai ins Schloss fiel. Er spielte
     versonnen mit seiner Pfeife, die er immer in der Hand hatte, obwohl man in dem Gebäude nicht rauchen durfte.
    Die anderen lächelten, obwohl sie immer noch baff waren. Isabel ging als Erste hinaus. Wenn es nicht das erste Mal gewesen
     wäre, dass sie so etwas bei ihrem Chef erlebte, wäre sie richtig wütend gewesen. So war sie eher neugierig. Auf dem Korridor
     blieb sie einen Augenblick stehen. Es war still, bis auf die Stimmen ihrer Kollegen im Besprechungsraum. Sie stellten wilde
     Spekulationen an, warum Hernán so unerwartet fehlte. Aber da redeten noch andere. Hinter der Doppeltür zu Hernáns Büro waren
     Stimmen zu hören. Es klang nach einer Auseinandersetzung. Isabel trat näher. Doch die Tür war zu massiv. Sie würde das Ohr
     dagegenpressen müssen, wenn sie etwas verstehen wollte. Sie war drauf und dran, genau das zu tun, da vernahm sie hinter sich
     ein Quietschen. Ein Bote, den sie nicht kannte, kam mit einem Wägelchen den Korridor hoch, um die Morgenpost zu verteilen.
     Vor Isabel blieb er stehen.
    »Darf ich mal?«, fragte er.
    Isabel entschuldigte sich und trat beiseite. Der Bote nahm ein dickes Bündel Briefe und klopfte an. Ganz oben auf dem Wagen
     lag nun ein handschriftlich adressiertes Päckchen:
Für Isabel Alvarado, Zimmer 12104
. Die Tür zu Hernáns Büro ging auf, undRais Gesicht erschien im Türrahmen. Er nahm die Post rasch an sich, ohne Isabel zu bemerken. Vera dagegen sah sie und warf
     ihr einen raschen Blick zu. Sie lehnte an ihrem Schreibtisch und hatte die dunkle Sonnenbrille abgenommen, so dass man unter
     ihren Augen verwischte Wimperntusche sah; das eine Auge schien blau und geschwollen zu sein.
    Mehr konnte Isabel nicht sehen, denn schon fiel die Tür wieder zu. Isabel wandte sich an den Boten.
    »Ich bin Isabel Alvarado. Ich glaube, das Päckchen da ist für mich.«
    Der Bote warf einen prüfenden Blick auf die Empfängerangabe, reichte ihr das Päckchen und setzte seine Runde mit einem routinierten
     »Schönen Tag noch« fort.
    Isabel bekam oft Briefe und Päckchen, aber dieses hier hatte etwas Besonderes. Nicht nur, dass ihr Name mit der Hand geschrieben
     war; das sah auch nicht nach der hastigen Schrift eines Büroangestellten aus einer anderen Abteilung aus. Nein, das waren
     die sauberen Lettern eines

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