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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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Schreckensschrei wurde vom durchdringenden Hupen des Lkws übertönt. Alberto riss gerade
     noch rechtzeitig das Steuer herum; der Mercedes neigte sich gefährlich nach rechts und raste auf zwei Rädern in Richtung Straßengraben.
     Alberto hörte Vera noch einmal aufschreien, während er mit beiden Händen das Lenkrad umklammerte, um das Auto zurück auf die
     Spur zu bringen, bevor das rechte Vorderrad in den Graben rutschte.
    Ein gutes Stück weiter kam der Wagen schließlich zum Stehen. Aus der Ferne war noch einmal die Hupe des Lkws zu hören.
    »Gott im Himmel!«, keuchte Vera und brach dann in wüste Beschimpfungen aus. »Verdammte Scheiße! Was war denn das für ein Arsch?!
     So ein Vollidiot!«
    Alberto schaltete die Warnblinkanlage ein; er wollte seinen Schutzengel nicht zweimal am selben Abend in Anspruch nehmen.
     Dann stellte er das Radio ab, löste die Sicherheitsgurte und zog seine Geliebte an sich. Vera schluchzte jetzt laut.
    »So ein Trottel! Gibt es in dieser Stadt denn nur noch Verrückte?«
    Alberto presste ihren Kopf an seine Brust und fuhr ihr dabei sanft durch die Haare, wie Vera es nur wenige Sekunden vorher
     bei ihm getan hatte.
    »Ja, das war knapp, aber vorbei ist vorbei.«
    Der Satz kam ihm schrecklich platt vor, doch fiel ihm nichts Besseres ein, um sie zu beruhigen. Er selbst fühlte sich komisch,
     irgendwie viel zu ruhig, so als hätte sein Bewusstsein gar nicht registriert, was soeben geschehen war.
    Nach ein paar Minuten richtete sich Vera auf und kramte in der Handtasche nach einem Taschentuch.
    »Bist du okay?«, fragte sie ihn, während sie sich die Tränen abtrocknete.
    Alberto wartete, bis Vera ihn ansah, und nickte dann langsam. Es ging ihm ausgezeichnet. War das der Kick nach überstandener
     Gefahr, den Adrenalinjunkies als eine Art Orgasmus beschrieben? Wohl kaum; er fühlte sich, als wäre er nur kurz einem Hund
     ausgewichen, nicht einem tonnenschweren Laster. So als wäre es nicht weiter schlimm gewesen, wenn ihm das Ausweichmanöver
     missglückt wäre.
    Er ließ den Motor wieder an. Wenige Minuten später waren sie auf der Autobahn. Es war fast niemand unterwegs. Bis zu Veras
     Wohnviertel war es nicht mehr weit.
    »Soll ich durch die Innenstadt fahren? Die neue Straßenbeleuchtung soll gigantisch sein.«
    »Nein«, antwortete sie. »So was mach mal lieber mit deiner Frau.«
    Alberto Hernán lächelte. Ihre bissige Bemerkung zeigte ihm, dass sie sich von dem Schreck einigermaßen erholt hatte. Er verspürte
     zwar nicht die geringste Lust, sich gleich von ihr zu verabschieden, fuhr aber trotzdem auf die Umgehungsstraße, die zu den
     Außenbezirken führte.
    »Was machen deine Jungs?«, fragte Vera nach einer Weile, während sie durchs Seitenfenster auf die Lichter blickte, die nochvereinzelt in den umliegenden Bürogebäuden brannten. Seine Familie war kein Tabu, aber sie hatte das Thema an diesem Abend
     kein einziges Mal angeschnitten, und Alberto war ihr dankbar dafür gewesen.
    »Es geht ihnen gut. Der Kleine gibt mir zwar die Schuld daran, dass seine Mutter und ich uns nicht mehr lieben, aber irgendwann
     wird er es sicher verstehen.«
    »Und José?«
    Alberto setzte den Blinker und fuhr an der nächsten Ausfahrt ab. Sein Ältester hatte ihn seit jeher besser verstanden, aber
     er lebte leider weit weg.
    »Er bleibt jetzt doch noch einen Monat mit seiner Freundin in London. Wie die Dinge liegen, ist es vielleicht auch besser
     so.«
    »Und wann wirst du’s ihr sagen?«
    Vera sah ihn nicht an. Ihre Finger trommelten nervös auf das Handschuhfach. Ein paar Meter vor ihnen sprang die Ampel auf
     Rot. Alberto hielt an und sah zu ihr hinüber.
    Vielleicht morgen, vielleicht aber auch nie, dachte er, während er wieder anfuhr. Er hätte seiner Geliebten gerne erklärt,
     dass das im Moment nicht das Wichtigste war. Dass viel schlechtere Zeiten auf sie zukommen konnten, ja dass sie ihre Schatten
     bereits vorauswarfen. Und dass er das an diesem Abend zum ersten Mal seit Langem für kurze Zeit vergessen und sich entspannt
     hatte. Aber er brachte es nicht über sich. Er wollte sie nicht beunruhigen, wollte sie nur küssen, sie langsam auf dem Rücksitz
     ausziehen und mit ihr schlafen, vielleicht zum letzten Mal. Er wollte sich unbedingt noch einmal dem Begehren hingeben, von
     dem er bis vor wenigen Monaten noch geglaubt hatte, es hätte sich in Luft aufgelöst, weil in seiner Ehe schon lange nichts
     mehr lief.
    Doch als er wenig später vor ihrem Wohnhaus hielt,

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