Der 48-Stunden-Mann (German Edition)
sie ihr aus dem Gesicht, befühlte die kühle, seidige Locke und schob sie ihr hinters Ohr. „Klein. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, und ich hatte keine Brüder oder Schwestern.“
Sie atmete hörbar aus und lehnte sich an ihn. „Meine Brüder haben ein paar hässliche Dinge über ihren Vater gesagt … meinen Vater, nehme ich mal an. Niemand hat ihm von mir erzählt. Sie haben es nicht offen ausgesprochen, aber ich habe den Eindruck, sie befürchten, ich könne ihm völlig gleichgültig sein.“
„Kinder wollen auch als Erwachsene noch, dass ihre Eltern perfekt sind. Du hast dieses Bild einer wunderbaren, liebevollen Familie vor Augen, das du dir vor vielen Jahren ausgemalt hast. Da ist es schwierig, wenn die Wirklichkeit mit dem Traum nicht übereinstimmt.“
Nachdenklich nickte Hannah. „Louise ist großartig, auch wenn sie absolut nicht die Mutter ist, die ich mir vorgestellt hatte. Trotzdem ist sie fantastisch. Aber ich weiß nicht, was ich machen soll – mich mit Earl in Verbindung setzen oder nicht?“
„Das musst du ja nicht heute entscheiden – nicht einmal in dieser Woche. Du kannst in aller Ruhe darüber nachdenken.“
„Du hast recht. Ich schätze, irgendwie fühle ich mich gedrängt, alles auf einmal zu tun.“ Sie schaute auf und lächelte ihn an. „Danke, Nick.“
In diesem Moment war es real. Es lag keinerlei Vorsichtin ihrem Blick, keine Zurückhaltung, keine Verurteilung. Er sagte sich, dass sie sich an ihn gelehnt hatte, weil sie es so wollte. Weil er ihr Trost bot und vielleicht auch, weil er sie antörnte.
Sein ganzes Leben war ein einziger Schwindel, doch er lebte ihn, als wäre er real. Warum also nicht auch diese Situation mit Hannah? Warum sollte das etwas anderes sein?
„Wie war dein Vater?“, fragte sie ihn.
Er streifte ihre Wange mit den Fingern, und weder protestierte sie, noch entzog sie sich ihm. Ob es zu ihrem Spiel gehörte oder nicht, war ihm im Augenblick vollkommen egal.
„Wenn er nüchtern war, dann war er der beste Dad der Welt. Wir haben Fußball gespielt, waren zusammen angeln, haben am Strand ein Feuer gemacht und uns etwas gekocht.“ Er lächelte, als er sich daran erinnerte. „Dann war er immer für mich da.“
Wenn , rief er sich ins Gedächtnis. Sein Lächeln verschwand. „Wenn er trank, war er ein elender Mistkerl, der sich mit allen prügelte.“ Sogar mit einem siebenjährigen Kind. Nick hatte die gebrochenen Knochen, die das bewiesen.
Hannah fuhr hoch und riss die dunklen Augen auf. „Er hat dich geschlagen.“ Das war keine Frage.
„Manchmal. Monatelang blieb er trocken, dann griff er eines Tages wieder zur Flasche, und ich wusste nie, wann es wieder soweit sein würde. Als ich zehn war, kam mein Dad einmal sternhagelvoll nach Hause. Er war im Haus gestolpert, und ich war aufgestanden, um nachzusehen, ob ihm etwas passiert war. Damals hatte ich einen Hund. Chester. Ein großer hässlicher Straßenköter. Mein Dad war über Chester gestolpert und geriet so in Rage, dass er versuchte, ihn zu erschießen.“
Nick sprach ruhig, aber er hatte noch das Geräusch von dem Gewehr im Ohr, das durchgeladen wurde. „Ich musste Chester zu einem Freund bringen. Später hat mein Vater gesagt, er könne wieder zurückkommen. Aber darauf wollte ich mich nicht einlassen, denn beim nächsten Mal hätte mein alter Herr wahrscheinlich abgedrückt.“
„Nein!“ Hannah legte ihm eine Hand auf die Brust. „Das ist furchtbar. Es tut mir leid. Danach hast du ihn sicher gehasst?“
Er wagte es nicht, ihr ins Gesicht zu schauen, denn er wollte nicht sehen, wie das Mitleid ihre schönen Züge weich machte. Wenn er wusste, dass sie sich um ihn sorgte, wurde es gefährlich. Also richtete er den Blick auf das grüne Gras und die Bäume. „Mir war immer klar, dass es nicht wirklich sein Fehler war. Ich finde zwar, dass er gar nicht damit hätte anfangen dürfen, aber was dann später geschah … das war nicht mehr mein Dad. Er war krank. Ich glaube, dadurch habe ich früh gelernt, niemandem zu vertrauen. Und nach Chester habe ich es vermieden, mein Herz an jemanden zu hängen.“
„Ist das der Grund, weshalb du dich nicht an die Gesetze hältst?“
Er sah sie scharf an. Sie zuckte zurück. „Entschuldige, das ist mir so rausgerutscht. Ich wollte dich nicht aushorchen.“
Auf den Gedanken, kriminell zu werden, war Nick nie gekommen. Gerade seine Vergangenheit war der Grund dafür, dass er Polizist geworden war. Weil er es richtig machen wollte.
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