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Der 7. Lehrling (German Edition)

Der 7. Lehrling (German Edition)

Titel: Der 7. Lehrling (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Hesse
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Nur nicht die Nerven verlieren! Schritt für Schritt ging er auf die andere Seite zu. Die Seile hingen unter Milans Gewicht tief durch.
    Etwa zehn Querhölzer lagen hinter ihm, als die erste Lücke kam. Jetzt musste Milan einen großen Schritt machen. Langsam ging er in die Hocke und verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein. Das Holz knackte bedenklich. Milan streckte vorsichtig das linke Bein aus und stellte es auf das nächste Querholz. Als er einigermaßen Halt gefunden hatte, schob er sich Zentimeter für Zentimeter über die Lücke.
    Krach!
In einer Wolke gab die wurmstichige Strebe unter seinem hinteren Fuß nach und zerfiel in Splitter und Staub. Milans Hände krallten sich wie Schraubstöcke um die oberen Seile. Nur seine Geistesgegenwart rettete ihn vor dem Sturz in den Abgrund. Zum Glück hatte das vordere Querholz gehalten, auf dem sein linker Fuß stand!
    Zitternd setzte Milan seinen rechten Fuß auf das Tragseil und richtete sich langsam wieder auf. Er musste die Technik ändern. Dem brüchigen Holz wollte er keinen weiteren Schritt anvertrauen. Ab jetzt würde er nur noch die Seile benutzen und ganz auf die Querhölzer verzichten. Vorsichtig ging er weiter.
     
    Je weiter Milan vorwärtskam, umso mehr wich seine Unsicherheit der Gewissheit, dass er es schaffen würde. Jetzt war er fast bei der Hälfte der Brücke angekommen und blickte zurück. Wenn er auf der anderen Seite war, hatte er noch genug Licht, um vielleicht eine knappe Stunde zu marschieren. Er würde es rechtzeitig nach Filitosa schaffen!
     
    Mit einem Knall wie von einer Peitsche riss unter seinem Fuß das morsche rechte Tragseil und löste eine Kettenreaktion aus. Die anderen Seile waren genauso alt und brüchig und konnten der plötzlichen Belastung nicht mehr standhalten. Innerhalb eines Sekundenbruchteils rissen auch das linke und das rechte obere Seil und schließlich das linke Tragseil. In den roten Strahlen der untergehenden Sonne stürzte Milan schreiend mit den Resten der Brücke in die Tiefe.
     
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    Aminas Kopf ruckte hoch. Was war das gewesen? War jemand hereingekommen? Schnell warf sie einen Blick um sich, aber in dem kleinen Kontor, in dem sie über den Papieren der Metzgerei saß, war sonst niemand. Heruntergefallen war auch nichts.
    Merkwürdigerweise schoss ihr immer wieder das Bild von Milan durch den Kopf. War er etwa schon da? Sie lief zur Tür und schaute hinaus. Nichts. Aber das merkwürdige Gefühl, das von ihr Besitz ergriffen hatte, blieb. Verstört ging sie zu dem kleinen Herd im Aufenthaltsraum und setzte den Kessel auf. Ein Tee würde bestimmt gegen die komischen Gedanken helfen.
    Während Amina darauf wartete, dass das Wasser kochte, flackerten ihr immer wieder Bilder von Milan durch den Kopf. Dazwischen mischten sich vage Andeutungen von Schrecken und Schmerz. Aber es gab nichts Konkretes, nichts Greifbares. Dann fingen die Bilder langsam an zu verblassen. Schließlich war es vorbei.
    Amina wusste nicht, wie sie dieses Erlebnis bewerten sollte. Hatte sie das gehabt, was die älteren Magier ganz schlicht „Ahnung“ nannten? War Milan etwas passiert? War er verletzt oder in Gefahr? Amina war schon auf dem Weg zur Tür, um Adina alles zu berichten, aber dann blieb sie stehen. Was, wenn sie sich das alles nur einbildete? Sie konnte jetzt schon sehen, wie Adina sich vor Lachen den Bauch hielt. Vielleicht ging ja wirklich nur ihre Fantasie mit ihr durch …
    Als das Wasser kochte, goss Amina es in die Teekanne. Sie schüttelte noch einmal den Kopf, ging zurück zu den Listen und machte sich wieder an die Arbeit. Richtig konzentrieren konnte sie sich allerdings nicht mehr.
     
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    Sie waren noch einmal in die Mühle gegangen. Der Flaschenzug hatte sich am Nachmittag auf der Schiene verhakt und ging weder vorwärts noch zurück. Falk rieb sich das Kinn. „Irgendjemand muss da rauf, so viel ist klar. Und“, sagte er zu Quentin gewandt, „was glaubst Du wohl, wer das sein wird?“
    Quentin verdrehte die Augen. „Bitte Meister, muss das sein? Mir wird so weit oben immer schwindelig. Kann das nicht Medard übernehmen?“
    Medard saß auf einem Getreidesack und grinste Quentin an. „Nö, kann ich nicht. Erstens bin ich zu schwer für das dünne Holz, und zweitens ist es ein größerer Schaden für den Meister, wenn ich runterfalle, als wenn Du das Vögelchen machst.“ Er grinste noch breiter. „Also zier Dich nicht, zeig mal, was in Dir steckt, tapferer Müllerssohn!“
    Falk sah zu Medard hinüber.

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