Der 7. Lehrling (German Edition)
garantiert jeden einzelnen Knochen im Leib brechen.
Jetzt konnte er das letzte Querholz deutlich sehen.
Nur noch wenige Griffe.
Ein letztes Mal noch den ganzen Willen aufbringen.
Der ganze Körper ein einziger brennender Schmerz.
Die Hände nicht mehr spüren, nur noch sehen, wie sie trotz allem immer noch funktionieren.
Dann war er oben. Mit einer letzten Anstrengung zog er sich über die Kante. Anschließend lag er minutenlang regungslos mit dem Gesicht im Staub. Sein ganzer Körper zitterte von der fast übermenschlichen Anstrengung.
Seine Hände kamen nach vorn auf Höhe der Schultern. Die Arme drückten zitternd den Oberkörper hoch, dann zog er erst das eine, dann das andere Knie an und setzte sich auf seine Fersen. Vorsichtig und immer noch heftig zitternd brachte er einen Fuß nach vorn und ging in die Hocke. Endlich richtete er sich mit einem gequälten Stöhnen auf.
Mit einem langen Jubelschrei, in dem all der Schmerz und alle überstandene Anstrengung vereint waren, schleuderte Milan seinen Triumph über den Abgrund hinweg den letzten Strahlen der untergehenden Sonne entgegen.
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Das merkwürdige Gefühl war noch einmal wiedergekommen. Wieder war es verbunden mit Bildern von Milan. Aber dieses Mal kündete das Gefühl von unendlicher Anstrengung, Erschöpfung und schließlich von Sieg.
Amina konnte nicht dagegen ankämpfen. Zu intensiv waren die Wogen von Gefühlen, die ihren Geist durchfluteten. Die Feder, mit der sie geschrieben hatte, lag neben der angefangenen Liste, ein Tintentropfen fiel auf das Blatt Papier. Unbeweglich starrte Amina auf einen Punkt, der weit außerhalb ihres kleinen Kontors liegen musste.
Am Schluss, als die Bilder wieder verblassten, war ihr Gesicht nass von Tränen. Nun war sie sich sicher: Sie hatte eine Ahnung gehabt. Milan hatte etwas Schreckliches erlebt, war dem Tode nahe gewesen, aber schließlich hatte er die Gefahr überwunden.
Mit aller Kraft sandte sie Milan einen Gedanken. In diesem Gedanken schickte sie ihre Erleichterung und ihre Hoffnung auf Milans baldige Ankunft durch die hereinbrechende Nacht.
Dann machte sie sich zu Adina auf den Weg. Das musste sie ihr erzählen!
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Es war doch leichter gewesen, als Quentin gedacht hatte. Die Latten lagen in einer günstigen Griffweite, und so konnte er recht schnell bis zur Schiene emporklettern. Natürlich war es anstrengend gewesen. Aber der Weg nach unten ging ja am Seil hinab.
Der Flaschenzug hatte sich nur neben die Schiene gesetzt. Quentin hatte ihn mit einem kräftigen Ruck wieder in der Spur und turnte anschließend am Seil nach unten, wo Falk ihm anerkennend auf die Schulter klopfte. Sogar Medard, der ihn sonst immer nur ärgerte, kamen ein paar lobende Worte über die Lippen.
Als alles für den nächsten Tag gerichtet war, löschten sie das Licht in der Mühle und gingen wieder zum Wohnhaus hinüber.
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Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne weckten Milan. Er zitterte vor Kälte und stöhnte vor Schmerzen, als er sich aufrichtete. Der letzte Abend schoss noch einmal in schrecklichen Bildern durch seinen Kopf. Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war ein Gedanke an Amina gewesen; ihr hübsches Gesicht schien glücklich, aber trotzdem auch irgendwie so, als ob sie geweint hätte. An etwas anderes konnte er sich nicht erinnern. Er war offensichtlich keine drei Schritte vom Abgrund erschöpft zusammengebrochen und eingeschlafen.
Besorgt tastete Milan seinen Körper nach Brüchen ab. Zum Glück war alles mehr oder weniger heil geblieben. Ein paar tiefe Schrammen und viele schmerzhafte Prellungen waren offensichtlich alles, was vom Sturz übrig geblieben war. Mit etwas Wasser und einem halbwegs sauberen Tuch tupfte er den Schmutz aus den Wunden. Dann überprüfte er seine Habseligkeiten.
Der Trinkschlauch war noch etwa halb voll. Die Gürteltasche mit vielen nützlichen Reiseutensilien war zum Glück auch noch da. Aber sein Beutel mit dem Essen war fort.
Vorsichtig schob sich Milan an den Rand des Abgrundes heran. Die Reste der Brücke hingen schlaff an der steilen Felswand herab. Milan starrte in die gähnende Tiefe. Irgendwo weit unter sich konnte er das abgerissene Ende der Seilbrücke sehen, an dem er sich bei seinem Sturz gerade noch hatte festhalten können und das nun im Halbschatten hin- und herschwang. Einen Grund konnte er nicht ausmachen. Die Schlucht war so unglaublich tief, dass das Tageslicht es nicht schaffte, bis auf den Boden
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