Der 7. Lehrling (German Edition)
wiedergutmachen konnte.
Adinas Weg führte sie durch abgeerntete Felder. Ein kleiner Teil war bereits umgepflügt, die meisten Äcker waren allerdings noch voller goldgelber Stoppeln. Insgesamt konnte sie mit ihrem Suchweg durchaus zufrieden sein. Bisher hatte sie bis auf die Fähre keine großen Schwierigkeiten überwinden müssen. Zwar war das tägliche Marschieren anstrengend, aber wenn sie an diejenigen dachte, die sich Tag für Tag irgendwelche Berge hinaufquälen oder Moore durchwaten mussten – da hatte sie am Ende doch ein gutes Los gezogen!
Am Horizont tauchte langsam das nächste Dorf auf, das sie aufsuchen musste. Wie jedes Mal, so keimte auch jetzt wieder ein wenig Hoffnung in ihr auf. Mal sehen, was der Nachmittag noch bringen würde!
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Nach wie vor war das Convenium der Versammlungsort für alle, die begierig auf die neuesten Informationen waren, und so saß auch am heutigen Abend eine nicht gerade kleine Anzahl von Dorfbewohnern um den großen Tisch herum. Das Feuer im Kamin brannte nicht, dafür war es zu warm. An der Wand über dem Kaminsims prangte noch immer die große Karte des Landes mit den sich ständig bewegenden roten Punkten. Die magischen Kerzen verbreiteten eine gemütliche Atmosphäre. In kleinen Gruppen tauschten die Dorfbewohner ihre Vermutungen aus oder schauten sich einfach nur die Karte an.
Auch wenn die
Speichen
natürlich nicht ganz gerade verliefen, so war doch deutlich erkennbar, dass Korbinians Vorbereitungen sehr überlegt gewesen waren: Es gab kaum einen roten Punkt auf der Karte, der wirklich ernsthaft aus der Reihe fiel, alle bewegten sich wie Perlen an einer Schnur langsam im Uhrzeigersinn durch das Land.
Als Korbinian den Raum gemeinsam mit Linnea und Amina betrat, verstummten die Gespräche, und alle wandten sich ihnen zu. Korbinian grüßte freundlich in die Runde und ging mit seinen beiden Begleiterinnen zu Samuel, der in der Nähe des Kamins stand und die Karte betrachtete.
Amina musste Samuel natürlich alles noch einmal haarklein berichten. Sie hatte gerade damit begonnen, als aus dem Halbdunkel im hinteren Teil des Raumes ein Zwischenruf ertönte: „Amina, kannst Du bitte etwas lauter sprechen, Du bist hier kaum zu verstehen!“
Korbinian nickte Amina aufmunternd zu. „Tja, das hat sich hier so eingebürgert: Wer Neuigkeiten zu berichten hat, der tut es so laut, dass es alle verstehen können. Das erspart einem im Nachhinein viel Zeit, glaub mir.“
Noch etwas irritiert drehte sich Amina ein wenig mehr zu den anderen Anwesenden und fing mit ihrem Vortrag noch einmal bei ihrer nachmittäglichen Sitzung an. Samuel hörte die ganze Zeit aufmerksam zu. Dazu bewegte er fortwährend die Finger und murmelte leise vor sich hin. Die Karte veränderte sich ständig.
Hier und da waren statt der grau eingefärbten und somit als „erledigt“ gekennzeichneten Dörfer und Städte hellgelbe Punkte zu sehen. Das waren die bisherigen Treffer, die durch die Suchketten erzielt worden waren – leider nicht ein Einziger im richtigen Alter, aber trotzdem eine erstaunliche Anzahl! Auch Nahir von der
4-Uhr-Speiche
hatte am Nachmittag davon berichtet, dass er zwei Tage zuvor auf ein sechsjähriges Mädchen gestoßen war, das später auch einmal zu ihrer Gemeinschaft gehören würde.
Die Spur der
Horden
hatte Samuel als breites braunes Band dargestellt. Es verlief nun von Serding an der Grenze über die Fähre an der Uder nach Ascheberg und bog von dort etwas nach Südwesten ab. Othmar war der Letzte auf der
4-Uhr-Speiche
, der die Spur gestern gesichtet hatte, aber auch da war sie leider – oder zum Glück – schon mehrere Tage alt.
Korbinian zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Samuel, Amina und Linnea taten es ihm gleich. Gemeinsam blickten sie noch eine Weile schweigend auf die Karte und die roten Punkte, die nun mit Hereinbrechen der Nacht langsam zum Stillstand kamen. Das Convenium leerte sich zusehends.
„Eine alte Frau braucht bekanntlich ihren Schlaf“, bemerkte Linnea und erhob sich. „Ich wünsche euch eine gute Nacht.“ Sie verabschiedete sich auch noch bei den restlichen Dorfbewohnern im Saal, dann begab sie sich durch das bereits stille Dorf zu ihrer Hütte.
Auch für die anderen war es langsam an der Zeit, ins Bett zu gehen. Neue Erkenntnisse würde es vor morgen nicht mehr geben. Einer nach dem anderen verließ das Convenium, bis nur noch Samuel übrig war, der still auf seinem Stuhl saß, ab und zu einen Schluck Tee trank und
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