Der 7. Rabe (German Edition)
Alle spuckten in Rajs Richtung, oder knurrten warnend, sobald er ihnen nahe kam.
„Du hast viele Stunden lang Zeit, dir allerlei lustige Spiele auszudenken, um unseren Gast zu unterhalten. Sorg nur dafür, dass er nicht zu laut brüllt und morgen früh noch lebendig und körperlich unversehrt ist. Hm – na ja, und wenn nicht, dann ist er halt was weniger wert.“
Farouches grausiges Lachen ging Raj unter die Haut. Das waren keine Menschen. Das waren keine Tiere. Das hier waren gewissenlose Monster!
~*~
Farres schubste den Gefangenen zu Boden. Er landete auf Steinen und Wurzeln, ohne sich abfangen zu können. Das musste sehr schmerzhaft sein, doch der Rabe gab keinen Laut von sich. Das magere Hühnchen war mutig und tapfer, das musste man ihm lassen. Auch wenn er vor Angst stank, von außen war ihm nichts anzumerken.
Farres beschloss, ihn erst einmal da liegen zu lassen und zu beobachten. Auf Folter warten zu müssen war schlimmer, als sie zu ertragen, wie er aus eigener Erfahrung wusste, seit er als Jugendlicher in Gefangenschaft eines Bärenwandlerclans geraten und erst nach Tagen gegen Lösegeld freigekommen war. Er war gespannt, wie lange es dauern würde, bis Raj um Gnade piepste.
Der Regen prasselte auf sie nieder, die Dunkelheit der Nacht legte sich über sie. Farres’ Augen erkannten dennoch mühelos jedes Detail. Er sah, wie der Kleine sich mühte, nicht vor Kälte zu zittern. Die unruhigen, winzigen Bewegungen verrieten, wie schmerzhaft die Fesseln und Verletzungen sein mussten, die Raj erlitten hatte. Er wurde zunehmend kurzatmiger, da er mit an den Ellenbogen zusammengebundenen Armen nicht richtig Luft holen konnte. Würde er in dieser Position ohnmächtig, könnte er eventuell sogar ersticken.
Minutenlang herrschte Schweigen. Farres witterte, dass Raj sich dem Zusammenbruch näherte. Sein Puls raste, ein Krampf schüttelte seinen kaltschweißigen Körper durch. Beeindruckend, dass er noch immer kein Wort sprach, weder mit Blicken noch auf andere Weise um Hilfe bettelte. Gelehrter oder nicht, er musste mit Schmerzen vertraut sein. Als er begann, sich stöhnend und keuchend zu krümmen, um Atem schöpfen zu können, beugte Farres sich über ihn. Er erwartete Verzweiflung, Panik, ein Zeichen der Todesangst, die er in Raj witterte. Stattdessen blickte er in nachtschwarze Augen, die trotzigen Stolz und Wut spiegelten.
„Du bist stark“, flüsterte Farres verblüfft. Er zückte sein Messer, widerstand der Versuchung, es vor der Nase seines Gefangenen tanzen zu lassen und zerschnitt Rajs Fesseln. Der junge Rabenwandler stieß einen kurzen, schrillen Schrei aus, als seine überdehnten Schultern ruckartig befreit wurden. Er wand sich nach Luft japsend, kämpfte minutenlang stumm um seine Selbstbeherrschung. Erst, als Raj ruhiger wurde, hockte Farres sich auf seinen Rücken und schnitt ihm das Hemd vom Leib.
Der Körper unter ihm wurde starr.
„Du bist ziemlich angeschlagen, auch wenn ich dich ließe, würdest du nicht allzu weit fliehen können“, sagte Farres leise. „Aber dazu lasse ich es gar nicht erst kommen.“
Raj wandte ihm das Gesicht zu. Ein schmutziges, regennasses Gesicht, dessen Jugend und Schönheit etwas in Farres’ wunder Seele berührte. Dieser Rabe war ein tapferes Geschöpf. Ein Gelehrter zudem, kein Krieger. Es hieß, dass Prinz Raj sich mit seinem Vater überworfen hatte, weil er dessen Politik in Bezug auf die Wölfe kritisiert hatte. Hätte es nicht einer der anderen Rabenbrüder sein können, der ihnen in die Fänge geriet? Bei denen hätte er keine Skrupel gehabt, tief in ihre Rückenmuskeln zu schneiden, um sie an der Flucht zu hindern …
Als ihm klar wurde, was es war, dass seine Hand verharren ließ, glitt Farres verblüfft von seinem Opfer herab und schubste es herum, damit er ihm von nahem in die Augen blicken konnte.
Kein Hass.
Da waren viele Gefühle, die in dem kleinen Raben tobten. Doch keines davon hatte mit Hass zu tun.
„Du bist seltsam“, murmelte er, packte Rajs Kinn und starrte ihn intensiv an.
„Bist du zu dumm, um deine Feinde zu hassen? Oder sollte in der Brut des Rabenkönigs etwa ein Küken mit Herz und Seele geschlüpft sein?“
Verwirrung war es, die nun in Raj vorherrschte – und tiefe Erschöpfung.
Farres erinnerte sich mit einem Ruck daran, wozu er hier war. Sinnend strich er über die schlanken, starken Arme seines Opfers. Er mochte etwas klein geraten sein – knapp über eineinhalb Schritt höchstens – aber schwach war
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