Der Abgrund Kommissar Morry
sein ganzes Sinnen und Trachten.
Warum ein Mann wie Bill Skoopay so sehr auf das Hotel in Kingsland erpicht war, ist schnell erklärt.
Nicht etwa die gewiß nicht zu unterschätzenden Einnahmen, die jetzt in die Tasche Samuel Barrones flössen, waren die eigentliche Triebfeder für den Mann aus Rotherhithe! — Oh, nein! — Bill Skoopay gedachte, eine besondere Ware in den Räumen des Hotels an den Mann zu bringen. Eine Ware, die er seit Monaten schon auf dunklen Wegen von einer gerissenen Schmugglerorganisation bezog. Die kleinen Päckchen mit weniger als einem Gramm Inhalt des von vielen Leuten begehrten Pulvers wollte er in einem eigenen, der Öffentlichkeit zugänglichen Haus vertreiben! Das mußte, dachte er, ein Geschäft werden, das sich für ihn prächtig lohnen würde.
Seine augenblickliche Position als kleiner Zwischenhändler würde damit beendet. — Hatte er erst einmal eine eigene Absatz-Organisation, noch dazu eine unauffällige im Belvaria-Hotel, dann würde dieses ,Nebengeschäft' erst richtig florieren.
Schon seit langem verfolgte Bill Skoopay den Plan eines Selbstvertriebes von Rauschgift. Bei seinen gelegentlichen Informationsreisen durch die Londoner Bars und Nachtclubs war er zufälig vor knapp sechs Monaten in das Belvaria-Hotel von Kingsland gekommen.
Die Atmosphäre dieses Hauses und das dort verkehrende internationale Publikum gab den Rahmen ab, den er für sein beabsichtigtes, lichtscheues Unternehmen brauchte.
Sofort beschloß er, das Haus irgendwie zu erwerben. Doch bei Mister Barrone stieß er auf Ablehnung seines Kaufangebotes. Da war also offenbar nichts zu machen!
Schon sah er sich nach einem gleichartigen Haus um, als etwas eintrat, was er in seinen kühnsten Träumen nicht erhofft hatte. Durch einen Mittelsmann, einen undurchsichtigen Businessman seiner eigenen Art, brachte er in Erfahrung, daß der Besitzer des Hotels, eben jener Samuel Barrone, durch irgendeinen Umstand in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Sogleich bot er sich an — nicht ohne den Hintergedanken, das Hotel vielleicht doch noch an sich bringen zu können — Mister Barone das von ihm benötigte Geld als Halbjahres-Kredit vorzustrecken.
Als Samuel Barrone den Schuldschein unterzeichnet und die zehntausend ausgehändigt erhalten hatte, ließ Bill Skoopay nichts unversucht, um den Hotelier noch tiefer in seine Schuld zu bringen. Während er in der Folgezeit heimlich gegen das Hotel und seinen Besitzer wühlte, trat er Samuel Barrone gegenüber als großzügiger Finanzier auf. Jedenfalls solange, bis ihm Samuel Barrone in aller Deutlichkeit zu verstehen gab, was er über ihn und seine Geschäftsmethoden dachte.
Von Stund an änderte Bill Skoopay sein Verhalten gegenüber dem Hotelier. Er war nun nicht mehr der hilfsbereite, faire Vertragspartner, sondern wie ein mit ausgestreckten Krallen auf seine schon fast sichere Beute wartender Aasgeier.
Noch gestern Abend hatte er es Samuel Barrone erneut gezeigt, daß er sich schon insgeheim als neuer Besitzer betrachtete.
Well! — Das war am gestrigen Abend gewesen.
Aber wie sah die Angelegenheit heute aus? Was hatte sich in der Zwischenzeit zugetragen? Bill Skoopays Grimm gegen seine eigene Voreiligkeit, diesem Samuel Barrone die eigenen Absichten vorzeitig preisgegeben zu haben, steigerte sich an diesem Morgen geradezu zur Raserei.
Sein ganzer Plan fiel in dem Augenblick ins Wasser, wo Samuel Barrone die zehntausend Pfund Sterling bis zum Wochenende auftrieb und sie ihm bei seinem nächsten Besuch im Belvaria-Hotel auf den Tisch legte. Dann war es aus und vorbei!
Bis zu dieser Feststellung war Bill Skoopay gekommen, als er schnaufend zu dem in seinem Büro stehenden Schrank lief. Krachend flog die Tür auf und mit hastenden Händen ergriff er Hut und Mantel. Zwei Minuten danach trat er in den nebligen Tag hinaus und starrte, mit einem Ruck stehenbleibend, in den wogenden Dunst. Was ist jetzt also zu tun? überlegte er und steckte sich nachdenklich eine neue schwarze Zigarre zwischen die Lippen.
Wieder begannen seine Gedanken um das Belvaria-Hotel zu kreisen: John Gutwell war tot! An wen würde sich Samuel Barrone nun wenden, um die zehntausend aufzutreiben? Es gab genügend Geldinstitute, denen Samuel Barrones Besitz Sicherheit genug war, um ihm einen Betrag von zehntausend Pfund Sterling kurzfristig als Darlehen zu geben. Wie konnte er es anstellen, daß die Gefahr eines Vertragsabschlusses zwischen Samuel Barrone und einem Finanzier vermieden
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