Der Abgrund Kommissar Morry
aus seinem Nachdenken gerissen.
So, als müsse er seine Gedanken aus dem Hirn verscheuchen, fuhr Grangas mit der Hand über die umwölkte Stirn. Nun war er wieder ganz bei der Sache.
„Sorry, Brighward! Können Sie mir einen anderen Anzug beschaffen? Ich möchte nämlich nicht erst in meine Wohnung zurück. Außerdem dürfte ich da auch nichts Passendes finden", fügte er schnell hinzu, als er Leester Brighwards fragenden Blick auf sich gerichtet sah.
Einen Augenblick überlegte der Gefragte, blinzelte dann Alec Grangas schräg von der Seite an und meinte grinsend:
„Wenn Sie nicht so lang wären, könnte ich Ihnen einen von mir..."
Mitten im Satz brach Leester Brighward ab. Schnell eilte er zu einem an der schrägen Wand stehenden Schrank und wühlte darin herum. Dann schien er das Gesuchte gefunden zu haben.
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, hier dieses Stück habe ich erst kürzlich reinigen lassen. Da es mir doch zu groß ist, habe ich es bisher noch nicht benutzt."
Während Alec Grangas seinen zwar etwas angeschmutzten aber dennoch eleganten Einreiher ablegte, kam es ihm vor, als streife er gleichzeitig mit dieser Handlung auch sein früheres Leben aus seinem Gedächtnis.
Seltsamerweise hielt ihn eine aufsteigende Wehmut nur wenige Augenblicke in ihrem Bann. Danach schien er ein anderer Mensch geworden zu sein. Mit einem schlecht gebügelten Anzug aus grobem Tuch angetan, stand er wenige Augenblicke später vor seinem neugewonnenen Freund.
„Brighward", sagte er, den Mann offen anblickend, „nun bin ich entschlossen, mit Ihnen einen Weg zu gehen, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Aber es ist mir ganz gleich, was kommen wird! Ich danke Ihnen schon jetzt, daß Sie mich nicht im Stich gelassen haben, hier ist meine Hand!"
„Nun werden Sie nur nicht sentimental, old boy!" Während Brighward einschlug, sagte er in aller Offenheit:
„Ich bin nur ein kleiner Gauner, der einen kläglichen Versuch hinter sich hat, das Leben auf der Sonnenseite zu verleben. Wie der Versuch geendet hat, wissen wir. Trotzdem, Alec, deine Freundschaft werde ich in jeder Lage zu schätzen wissen. So, wie ich dir vertraue, so kannst auch du mir vertrauen!"
Als sie bald darauf in die neblige Nacht hinaustraten, verschwanden sie wie zwei geisternde Schatten...
5
Selbst das Licht des folgenden Tages schien sich ob der Ereignisse der vergangenen Nacht zu verbergen. Immer später wurde es mit dem Hell werden. Als schon die neunte Stunde überschritten war, lag die Stadt noch immer im Grau des Nebels. Auch die folgenden Stunden brachten keine Besserung der Wetterlage. Im Gegenteil Dichter und dichter brodelte sich die feuchte Masse zusammen. Gegen Mittag war es dann so weit, daß fast der gesamte Fahrzeugverkehr auf den Straßen Londons zum Erliegen kam.
Wer dennoch seinen Arbeitsplatz nach einem beängstigenden Gedränge in der Underground-Railway erreicht hatte und seiner Beschäftigung nachgehen wollte, mußte den Tag bei elektrischem Licht verbringen.
Aus allen Häusern der Weltstadt drangen gelbliche Lichtscheine. Menschen, die nicht unbedingt einem unaufschiebbaren Geschäft nachzugehen hatten, zogen es vor, diesen Tag in ihren Wohnungen zu verbringen. Dazu gehörte jedoch nicht Bill Skoopay. Es hielt ihn nicht länger in seinem Bau, einem büroähnlichen Verschlag an der großen Themseschleife bei Rotherhithe.
Schon seit den frühen Morgenstunden war er wie ein gereizter Stier in dem Lagerschuppen seiner Importfirma umhergelaufen. Seine Arbeiter gingen ihm aus dem Weg, sie kannten nur zu gut den Jähzorn ihres Brotgebers. Wenn er, so wie heute, mit eingezogenem Kopf und brutal vorgeschobenem Kinn in allen Ecken herumzuschnüffeln begann, war es Zeit, sich nicht sehen zu lassen, denn manch grobes Wort kam trotz der zerkauten schwarzen Zigarre aus dem Mund Bill Skoopays. Die meisten Lagerarbeiter konnten sich keinen rechten Vers auf die immer wieder wütend hervorgezischten Worte machen:
„Verdammt! Die ganze Geschichte fällt, ins Wasser!"
Bill Skoopay führte schon seit Stunden solche Selbstgespräche. Sein ganzes Denken war offenbar auf einen Punkt gerichtet.
Ihn beschäftigte die Sorge, wie er diesem aufgeblasenen Besitzer des Belvaria-Hotels, diesem Samuel Barrone, sozusagen das Genick brechen könne. Was mußte er noch anstellen, um das Grundstück in Kingsland in seinen Besitz zu bringen? Well, Bill Skoopay lag das Belvaria-Hotel im Sinn. Dieses in seine Hände zu bekommen, war augenblicklich
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