Der Abgrund Kommissar Morry
die letzten nach Redaktionsschluß noch eingetroffenen Meldungen über den Mord an John Gutwell gebracht hatte.
Es dauerte Minuten, bis Samuel Barrone wieder an sich selbst und seine augenblickliche geschäftliche Lage denken konnte. Da er so sehr mit sich selbst beschäftigt war, achtete er nicht auf die bis in sein Büro dringenden Geräusche. Er kümmerte sich nicht einmal daraum, als das auf seinem Schreibtisch stehende Telefon zu läuten begann. Ihm fiel es darum auch nicht auf, daß diese Klingel des Fernsprechers innerhalb der letzten zehn Minuten viermal läutete. Welche Bewandtnis es mit diesen kurz aufeinander folgenden Anrufen hatte, erfuhr er erst, als es für ihn bereits zu spät war.
Keinem anderen Zweck dienten diese Anrufe, als die beiden Gangster Salk Flenker und Jo Siskin davon zu überzeugen, daß sich ihr Opfer auch in seinem Büro befand. — Sie hatten sich zu diesen Anrufen entschlossen, nachdem sie sich mit den Örtlichkeiten des Hotels vertraut gemacht und festgestellt hatten, daß sich Samuel Barrones Büro gleich neben dem Hintereingang des Hotels befand. Für sie war dies eine angenehme Überraschung, denn dadurch wurde ihr Vorhaben beträchtlich erleichtert.
Brummend hatten sie es nach dem vierten Versuch, den Hotelier zu sprechen, aufgegeben! Sie machten sich nun daran, den Hintereingang, oder vielmehr, das danebenliegende Fenster, näher in Augenschein zu nehmen. Geräuschlos und unheimlich wie zwei Wildkatzen schaben sie sich durch den Nebel an die Hinterfront des Hotels heran. Ihr Gehör war aufs Höchste angespannt; mit ihren Blicken versuchten sie eine ihnen vielleicht drohende Gefahr vorzeitig auszumachen.
Ungehindert kamen sie bis zu dem Bürofenster Samuel Barrones.
Ein gelblicher Lichtschein fiel nach draußen. Jo Siskin drückte seine Nase gegen das feuchte Scheibenglas. Mehrere Sekunden hielten die beiden Slumrobber den Atem an. Dann zischte der Kahlköpfige kaum vernehmbar: „Goddam, der Kerl ist in seinem Büro. Er hängt auf dem Stuhl und schläft."
„Ist sonst noch jemand im Raum?" wollte Salk Flenker wissen.
Er hatte, während Jo Siskin den Raum musterte, die Hintertür des Hotels im Auge behalten. Jetzt sah er seinen Kumpanen erneut die Nase gegen die Scheibe drücken. — Es dauerte einige Zeit, bis er Antwort erhielt. Jo Siskin hatte es nicht leicht, den gesamten Raum schnell mit einem Blick zu übersehen. Ein großer Teil des Fensters war durch den Temperaturunterschied bei der starken Außenfeuchtigkeit beschlagen. Jo Siskin hatte nur durch einen schmalen Streifen eines am Fenster heruntergelaufenen Wassertropfens die Möglichkeit, das Innere des Raumes zu überblicken. Doch dann hatte Jo Siskin sich davon überzeugt, daß Samuel Barrone sich allein in seinem Büro aufhielt. Er raunte seinem Komplicen zu:
„Vorwärts, Salk! Kassieren wir ihn ein! Der Bursche ist wirklich ganz allein im Raum!"
Stumm nickte der Angesprochene. Schon lag seine Hand auf dem Türgriff der Hintertür. Leicht gab sie dem Druck des Gangsters nach. Ein langer Gang tat sich vor ihnen auf. Lautlos schlichen sich die beiden Gangster bis zu der Tür mit der auf weichem Milchglas befindlichen Aufschrift „Office".
Noch einmal verhielten sie lauschend. Nichts! Kein Laut, nicht einmal der Atem eines Menschen war zu hören. Nur weitentferntes Gemurmel aus den Hotelräumen drang schwach zu ihnen herüber. Der heimtückische Schlag gegen Samuel Barrone konnte geführt werden, —
Mit einem Kopfnicken gab der größere und auch stärkere Gangster Jo Siskin seinem Komplicen das Zeichen zum Eindringen in das Büro. Der Türgriff neigte sich nieder, Zoll für Zoll bewegte sich die Tür in ihren Angeln. Zuerst erschien der Schädel des Kahlköpfigen in dem Türspalt. Langsam folgte seine rechte Schulter. Zuletzt kam seine mit einer Parabellum-Pistole bewaffnete Hand zum Vorschein...
„Für alle Fälle!" hatte Jo Siskin auf der Fahrt vom Lime-Kiln-Dock nach Kingsland seinem Komplicen gesagt, als sie sich über die Durchführung des Überfalls auf Samuel Barrone unterhielten und sich einig wurden, den Hotelier mit einem Schlag über den Kopf zu betäuben. Jetzt sollte die Parabellum-Pistole auf den Hinterkopf des ahnungslos in seinem Sessel sitzenden Samuel Barrones niedersausen...
Drei Schritte trennten den Kahlköpfigen noch von seinem seitlich von ihm sitzenden Opfer. Noch immer hatte Barrone den neben ihm auftauchenden Schatten nicht wahrgenommen. Jo Siskins vorsichtig tastende Füße
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