Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
kannst mich an nichts hindern. Du ahnst nicht, welche Weisheit ich gefunden habe und über welche Mächte ich gebiete.«
Dinivan wich nicht zurück, als Pryrates immer weiter auf ihn zuschritt. Die Absätze seiner Stiefel hallten im Gang wider. »Wenn du es Weisheit nennst, deine unsterbliche Seele billig zu verkaufen, dann bin ich froh, solche Weisheit nicht zu besitzen.« Seine Furcht wuchs, und er musste sich anstrengen, damit seine Stimme nicht zitterte.
Pryrates’ Reptiliengrinsen wurde breiter. »Das ist dein Fehler – deiner und aller dieser anderen Angsthasen, die sich Träger der Schriftrolle nennen. Der Bund der Schriftrolle! Ein Klatschverein für winselnde, spitzfindige Möchtegerngelehrte! Und du, Dinivan, bist der Schlimmste von allen. Für ein paar beschwichtigende Sinnsprüche hast du deine Seele verhökert. Statt deine Augen den Geheimnissen des Unendlichen zu öffnen, hast du dich hinter den Ringküssern der Kirche mit ihren schwieligen Knien versteckt.«
Eine Welle von Wut durchflutete Dinivan und schwemmte für einen Augenblick seine Angst fort. »Zurück!«, schrie er und hob den Baum vor sich in die Höhe. Er schien von innen heraus zu glühen, als schwele das Holz. »Du wirst nicht weitergehen, Diener übler Herren, oder du musst zuerst mich töten.«
Pryrates riss in höhnischem Erstaunen die Augen auf. »Aha! Der kleine Priester hat Zähne! Nun gut, spielen wir das Spiel auf deine Art … und ich werde dir auch einmal meine Zähne zeigen.« Der Alchimist hob die Hände über den Kopf. Seine Scharlachgewänder wogten, als fahre eine Sturmbö durch den Gang. Die Fackeln flackerten in ihren Ringen und erloschen. »Vergiss nicht …«, zischte Pryrates in die Dunkelheit. »Ich gebiete jetzt über die Worte der Verwandlung! Ich diene niemandem mehr!«
Der Baum in Dinivans Hand leuchtete heller, aber um Pryrates herum blieb es dunkel. Die Stimme des Alchimisten wurde lauter und intonierte einen Gesang in einer Sprache, deren bloßer Klang Dinivan in den Ohren schmerzte. Ein Band legte sich um seinen Hals und schnürte ihm die Luft ab.
»Im Namen des allerhöchsten Gottes!«, brüllte Dinivan, aberPryrates’ Gesang schwoll zu einem triumphierenden Höhepunkt an und schien ihm die Worte des Gebetes von den Lippen zu reißen, bevor er sie noch ausgesprochen hatte. Dinivan konnte kaum atmen. Im Finsteren vor ihm hatte sich Pryrates’ Zauberlied in ein grunzendes, keuchendes Zerrbild von Sprache verwandelt, als durchlitte der Alchimist eine unendlich qualvolle Verwandlung.
Wo Pryrates gestanden hatte, schlug jetzt ein brodelnder, unbestimmter Schatten um sich, wand sich in knotigen Schlingen, die immer größer und größer wurden und zum Schluss selbst das Sternenlicht erstickten. Der Gang versank in undurchdringlicher Schwärze. Schwerfällige Lungen schnauften wie ein Schmiedeblasebalg. Eine tödliche, uralte Kälte erfüllte den Korridor.
Mit einem Aufschrei erschrockener Wut warf Dinivan sich nach vorn, um mit seinem heiligen Baum auf das unsichtbare Etwas einzuschlagen. Aber stattdessen fand er sich in der Umklammerung eines massiven und zugleich grausig unkörperlichen Fangarms wieder, der ihn in die Höhe riss wie eine Puppe. Sie rangen miteinander, verloren in der eisigen Dunkelheit. Dinivan schnappte nach Luft, als er spürte, wie sich etwas in seine vor Angst rasenden Gedanken drängte, mit glühendheißen Fingern an seinem Hirn rührte und das Gefäß seines Verstandes aufzudrücken versuchte wie einen Marmeladentopf. Er wehrte sich mit aller Macht und versuchte das Bild des heiligen Ädon vor sein sich trübendes geistiges Auge zu zwingen; ihm war, als höre er das Böse, das ihn gepackt hielt, schmerzhaft aufstöhnen.
Aber der Schatten schien nur an Festigkeit zu gewinnen. Sein Griff wurde härter, eine grausige, Knochen zermalmende Faust aus Gallerte und Blei. Saurer, kalter Atem berührte seine Wange wie der Kuss eines Alptraums.
»Im Namen Gottes … und des Bundes …«, ächzte Dinivan. Die tierischen Laute und das schreckliche, gepresste Atmen wurden leiser. In seinem Kopf schwirrten Engel aus peinigendem, sengendem Licht. Sie tanzten, um die Finsternis zu begrüßen, und betäubten ihn mit ihrem schweigenden Lied.
Cadrach zerrte Miriamels schlaffen Körper in den Gang hinaus und schwor bei allen Heiligen, Göttern und Dämonen angsterfüllte Eide. Das einzige Licht kam vom dünnen Blau der Sterne, die durch die Fenster an der Decke leuchteten. Trotzdem war die
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