Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
dem Schwert zum Lektor zu gehen, dachte er. Auch wenn ich mich damit viel besser fühlen würde. Seine Wachen hätten bestimmt etwas dagegen.
Nicht dass Isgrimnur den Lektor persönlich zu sehen bekommen würde. Es war höchst unwahrscheinlich, dass man einem wildfremden Mönch gestatten würde, das Schlafgemach des Oberhirten der Mutter Kirche zu betreten; aber Dinivans Räume lagen unmittelbar daneben. Der Sekretär des Lektors verfügte nicht über Wachen. Außerdem kannte und schätzte Dinivan Isgrimnur. Wenn der Priester erkannte, wer ihn da zu später Nachtstunde besuchte, würde er den Worten des Herzogs sehr aufmerksam lauschen.
Trotzdem hatte Isgrimnur das gleiche ungute Gefühl im Magen wie früher vor einer seiner zahllosen Schlachten. Darum hatte er auch sein Schwert hervorgeholt. Kvalnir war nicht mehr als zweimal aus der Scheide gekommen, seit er Naglimund verlassen hatte, und es hatte gewiss keine Arbeit verrichtet, die seine Klinge hätte abstumpfen können; aber wenn das Warten schwerfiel, gab das Schärfen seines Schwertes einem Mann Beschäftigung. Irgendetwas lag inder Luft heute Nacht, eine flaue Erwartung, die Isgrimnur an die Schlacht um die Seeländer am Ufer des Clodu erinnerte.
Selbst König Johan, der erfahrene Kriegsfalke, hatte in dieser Nacht Anzeichen von Unruhe gezeigt, denn er hatte gewusst, dass irgendwo in der Dunkelheit zehntausend Thrithingmänner auf ihn warteten – und auch, dass die Stämme der Ebenen sich nicht an die ordnungsgemäße Anfangszeit für Schlachten – nämlich im Morgengrauen – oder sonstige Übereinkünfte zivilisierter Kriegsführung hielten.
Damals war Johan der Priester ans Feuer gekommen und hatte mit seinem jungen Rimmersmann-Freund – Isgrimnur war zu dieser Zeit noch nicht Erbe des väterlichen Herzogtums gewesen – einen Krug Wein geteilt und Gespräche geführt. Während sie sich unterhielten, hatte der König mit Stein und Poliertuch an seinem sagenhaften Schwert Hellnagel gearbeitet. Plaudernd hatten sie die Nacht verbracht, zuerst ein wenig verlegen, mit vielen Pausen, in denen sie auf ungewöhnliche Geräusche horchten, dann immer gemütlicher, als die Morgendämmerung näherrückte und es klar wurde, dass die Thrithingmänner keinen nächtlichen Überfall beabsichtigten.
Johan erzählte Isgrimnur Geschichten aus seiner Jugend auf Warinsten – er schilderte es als Insel voller rückständiger und vom Aberglauben verblendeter Hinterwäldler – und von seinen ersten Reisen auf dem Festland. Die unerwarteten Einblicke in die Jugendjahre des Königs faszinierten Isgrimnur. In dieser Nacht, als sie am Clodu-See am Feuer saßen, war Johan der Priester schon fast fünfzig Jahre alt und hätte für den jungen Rimmersmann König seit Anfang aller Zeiten sein können. Als er ihn aber nach seinem legendären Sieg über den Drachen Shurakai befragte, wehrte der König die Frage ab wie eine lästige Fliege. Genauso wenig war er bereit, davon zu erzählen, wie er das Schwert Hellnagel errungen hatte, und er meinte, davon werde schon viel zu viel geschwatzt, es sei langweilig.
Jetzt, vierzig Jahre später in einer Mönchszelle der Sancellanischen Ädonitis, erinnerte sich Isgrimnur daran und lächelte. Johans unruhiges Wetzen von Hellnagel kam von allem, was der Herzog je an seinem Gebieter gesehen hatte, der Furcht am nächsten – zumindest der Furcht vor einem Kampf.
Der Herzog schnaubte. Jetzt lag der gute alte Mann erst zwei Jahre in seinem Grab, und schon saß hier sein Freund Isgrimnur und brütete vor sich hin, während zu Nutz und Frommen von Johans Königreich endlich gehandelt werden musste.
So Gott will, wird Dinivan mein Herold sein. Er ist ein kluger Kopf. Er wird Lektor Ranessin günstig für mich stimmen, und wir werden Miriamel aufspüren.
Er zog die Kapuze tief ins Gesicht und öffnete dann die Tür. Vom Gang her drang Fackellicht in den Raum. Isgrimnur ging noch einmal zurück, um die Kerze auszublasen. Ungünstig wäre es, sie auf seinen Strohsack fallen zu lassen und den ganzen Palast in Brand zu stecken.
Cadrach wurde immer aufgeregter. Schon seit geraumer Zeit warteten sie in Dinivans Studierstube auf den Sekretär. Soeben hatte die Claves-Glocke die elfte Stunde geschlagen.
»Er kommt nicht wieder, Prinzessin, und ich weiß nicht, wo sich seine Privaträume befinden. Wir müssen fort.«
Miriamel spähte durch den Vorhang an der Rückwand von Dinivans Arbeitszimmer in den großen Audienzsaal des Lektors. Nur von einer
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