Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
etwas so Leises sagte, dass Simon es nicht verstehen konnte, half ihm auf Heimfinders Rücken und schob Dorn durch die Schlingen am Sattel. Ringsum standen steinerne Mauern, aber als Simon seinem Pferd die Fersen in die Rippen stieß, waren die Mauern plötzlich verschwunden, und er ritt unter dem von Bäumen aufgeschlitzten Nachthimmel dahin. Über ihm schimmerten die Sterne.
Die Zeit ist gekommen, Menschenkind. Blut hat die Tür geöffnet. Komm, feiere mit uns !
»Nein!«, hörte Simon seine eigene Stimme schreien. »Lasst mich in Ruhe!«
Er spornte sein Pferd und galoppierte auf den Wald zu. Binabik und Sludig, die noch nicht aufgesessen waren, riefen hinter ihm her, aber im Lärm in seinem Kopf gingen ihre Worte unter.
Die Tür ist offen! Komm zu uns!
Die Sterne redeten mit ihm, rieten ihm, zu schlafen. Wenn er erwachte, würde er weit fort sein von … Augen im Feuer … von … Skodi … von Klauenfingern … von … Er würde weit fort sein …
Die Tür ist offen! Komm zu uns!
Rücksichtslos jagte er durch den verschneiten Wald, auf der Flucht vor der grausigen Stimme. Äste peitschten sein Gesicht. Sterne spähten kalt durch die Bäume. Zeit verging, Stunden vielleicht, aber immer noch ritt er verbissen weiter. Heimfinder schien seine Raserei zu teilen. Ihre Hufe wirbelten Schneewolken auf. Donnernd stoben sie durch die Nacht. Simon war allein, seine Freunde weit hinter ihm, und immer noch sprach die belustigte Stimme des Feuerwesens in seinen Gedanken.
Komm, Menschenkind! Komm, vom Drachen Gezeichneter! Es ist eine wilde Nacht! Unter dem Berg aus Eis erwarten wir dich …
Die Worte in Simons Kopf waren ein feuriger Bienenschwarm. Er krümmte sich im Sattel, prügelte auf sich selbst ein, schlug klatschend auf Ohren und Gesicht, um die Stimme zu vertreiben. Undnoch während er so mit den Armen ruderte, ragte urplötzlich etwas vor ihm auf – etwas, das schwärzer war als die Nacht. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb ihm das Herz stehen, aber es war nur ein Baum. Ein Baum!
Wie von der Hand eines Riesen fortgerissen, flog er aus dem Sattel und taumelte hinab ins Nichts. Er fiel. Die Sterne verblassten.
Schwarze Nacht senkte sich herab und deckte alles zu.
17
Eine ganz kleine Wette
er Nachmittag war vergangen. Wie ein Dach aus Purpurstoff breitete sich der Himmel, blankgescheuert vom Wind, über das Grasland. Die ersten Sterne zeigten sich. Deornoth, gegen die Kälte in eine grobe Decke gewickelt, sah zu den matten Lichtpunkten auf und fragte sich, ob Gott sich wohl endgültig von ihnen abgewandt hatte.
Josuas Schar wurde auf einer Bullenkoppel zusammenpfercht, in einem langen, schmalen Verschlag aus hölzernen Pfählen, die man tief in die Erde gerammt und dann mit Seilen aneinandergeschnürt hatte. So schwach die Wände auch aussahen – an manchen Stellen gab es so breite Lücken, dass Deornoth seinen ganzen Arm und ein großes Stück der Schulter hindurchstecken konnte –, sie waren stabil wie gemörtelter Stein.
Deornoth schaute zu seinen Mitgefangenen hinüber. Sein Blick blieb auf Geloë haften. Die Zauberfrau hielt Leleth auf dem Schoß und sang dem Kind leise etwas ins Ohr. Beide sahen hinauf in den immer dunkler werdenden Himmel.
»Ein Wahnsinn scheint es mir, dass wir Nornen und Gräbern entkommen sind, um dann hier zu enden.« Deornoth konnte einen gekränkten Unterton nicht unterdrücken. »Geloë, Ihr kennt doch Zaubermittel und magische Sprüche. Konntet Ihr unsere Angreifer denn nicht irgendwie verhexen – sie in Schlaf versetzen oder Euch in ein wildes Tier verwandeln und über sie herfallen?«
»Deornoth«, begann Josua warnend. Aber die Waldfrau brauchte keinen Verteidiger.
»Ihr versteht wenig davon, Herr Deornoth, wie die Kunst wirkt«, versetzte sie scharf. »Erstens einmal hat das, was Ihr ›verhexen‹nennt, seinen Preis. Wenn man es mühelos einsetzen könnte, um ein Dutzend Bewaffneter zu überwältigen, würden die Heere der Fürsten von besoldeten Zauberern nur so wimmeln. Zweitens hat man uns bislang keinen Schaden zugefügt. Ich bin kein Pryrates, der seine Kraft mit Spielereien für die Gelangweilten und Neugierigen vergeudet. Ein größerer Feind beschäftigt meine Gedanken, und er ist viel gefährlicher als alle Menschen in diesem Lager.«
Als sei sie verärgert darüber, so ausführlich geantwortet zu haben – und wirklich redete Geloë selten so viel auf einmal –, verstummte sie und schaute wieder zum Firmament hinauf.
Unzufrieden mit sich
Weitere Kostenlose Bücher