Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
ein Schattengesicht zu. Der schwankende Mund verzerrte sich lachend. Gleich darauf richteten sich die unergründlichen schwarzen Augen auf Simon. Es war, als berührten sie ihn, als leckten sie über sein Gesichtwie eine Zunge aus Eis. Er wollte schreien, aber eine Zentnerlast drückte ihn zu Boden.
Kleine Fliege, wisperte eine Stimme in seinem Kopf, schwer und dunkel wie Schlamm. Es war eine Stimme, die ihn in vielen Träumen verfolgt hatte, eine Stimme mit roten Augen, voll brennender Finsternis. An den seltsamsten Orten treffen wir dich, und du hast sogar das Schwert. Wir müssen dem Herrn von dir erzählen. Er wird sich sehr dafür interessieren. Eine Pause entstand. Das Wesen im Feuer schien größer zu werden. Seine Augen waren kalte schwarze Gruben im Herzen einer Hölle. Schau dich doch an, Menschenkind, schnurrte es, du blutest ja…
Simon zog die zitternde Hand unter seinem Körper vor und wunderte sich, warum es ihm so merkwürdig vorkam, dass sie seinem Willen gehorchte. Als er sie von Dorns Griff löste, sah er, dass seine bebenden Finger tatsächlich mit glitschigem rotem Blut bedeckt waren.
»Bestraft!« , kreischte Skodi mit überschnappender Kinderstimme. »Alle werden bestraft! Wir sollten dem Herrn und der Herrin Geschenke geben!« Wieder heulte die Wölfin, diesmal noch näher.
Vren lag schlaff im Schlamm vor Skodis Füßen, das Gesicht nach unten. Simon betrachtete ihn abwesend. Plötzlich schien sich der Boden nach oben zu wölben und die Sicht auf die blasse, verkrümmte Gestalt des Jungen zu verdecken. Gleich darauf bildete sich unmittelbar neben ihm eine zweite, vibrierende Ausbeulung. Die halb aufgetaute Erde gab ein knirschendes, schmatzendes Geräusch von sich und barst. Aus dem aufgewühlten Boden hob sich eine Hand mit langen Nägeln an einem dürren schwarzen Arm und griff mit Fingern, weit auseindergespreizt wie die Blütenblätter einer schwarzen Blume, hinauf zu den trüben Sternen. Eine zweite Hand schlängelte sich hinterher, gefolgt von einem blassen Kopf, der kaum größer war als ein Apfel. Ein nadelspitzes Grinsen zerriss das runzlige Gesicht und ließ den schütteren schwarzen Backenbart zucken.
Simon wand sich auf der Erde. Er brachte keinen Ton heraus. Der ganze Hof schlug jetzt Blasen, zuerst ein Dutzend, dann ein Dutzend mehr. Die Gräber quollen aus dem Boden wie Maden aus einem geplatzten Kadaver.
»Bukken!«, schrillte Skodi entsetzt. »Bukken! Vren, du kleinerDummkopf, ich habe dir doch gesagt, du darfst im Zauberkreis kein Blut verschütten!« Sie wedelte mit den dicken Armen nach den Gräbern, die wie eine Woge quiekender Ratten über die laut kreischenden Kinder herfielen. »Ich habe ihn doch bestraft!«, schrie sie und deutete auf den reglosen Vren. »Weg mit euch!« Sie sprach zum Feuer. »Macht, dass sie weggehen, Herr! Macht, dass sie weggehen!«
Das Feuer flackerte im kalten Wind, aber das Gesicht schaute nur zu.
»Hilfe! Simon!« Binabiks Stimme klang heiser vor Furcht. »Hilf uns! Wir sind immer noch gefesselt!«
Simon rollte sich mühsam auf die Seite und versuchte die Knie anzuziehen. Sein Rücken war zu einem festen Knoten verkrampft wie nach dem Tritt eines Pferdes. Die Luft vor seinen Augen schien voll glitzernder Schneeflocken zu sein.
»Binabik!«, stöhnte er. Eine Welle quietschender schwarzer Wesen flutete vom Hauptstrom fort, weg von den Kindern und hinüber zur Klostermauer, an der Sludig und der Troll lagen.
»Hört auf! Ich werde euch zwingen!« Skodi hatte die Hände an die Ohren gepresst, als wollte sie sich vor dem erbarmungswürdigen Schreien der Kinder schützen. Einen kurzen Augenblick tauchte aus dem Haufen der Gräber ein kleiner Fuß auf, bleich wie ein Pilz, und verschwand gleich wieder. »Hört auf!«
Rundum explodierte jäh die Erde. Glibberige Schlammbrocken besudelten ihr Nachthemd. Ein Schwarm dürrer Spinnenarme umklammerte ihre fetten Waden, und gleich darauf kletterte eine Horde Gräber an ihren Beinen hoch, als wären es Baumstämme. Skodis Nachthemd bauschte sich, als immer mehr und mehr Gräber sich darunter nach oben drängten, bis endlich das dünne Gewebe wie eine allzu vollgestopfte Tasche aufriss und eine wimmelnde Masse von Augen, spindeldürren Beinen und Krallenhänden preisgab, die Skodis teigiges Fleisch fast völlig bedeckte. Ihr Mund öffnete sich weit, um aufzuschreien, und ein schlangenartiger Arm bohrte sich hinein und stieß vor bis zur Schulter. Die fahlen Augen des Mädchens traten aus ihren
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