Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
selbst schüttelte Deornoth die Decke ab und stand auf. War es schon so weit mit ihm gekommen? Was war er für ein Ritter, eine alte Frau anzugehen, nur weil sie ihn nicht vor einer Gefahr gerettet hatte? Ein Schauer der Empörung und des Selbstekels überlief ihn; hilflos ballte und spreizte er die Fäuste. Was konnte er tun? Wer aus ihrem zerlumpten Haufen hatte überhaupt noch die Kraft, etwas zu unternehmen?
Isorn war dabei, seine Mutter zu trösten. Herzogin Gutrun hatte bisher bemerkenswert tapfer alle möglichen Schrecknisse überstanden; jetzt aber schien sie an ihre Grenze gekommen zu sein. Sangfugol war fast ein Krüppel, Strupp mehr oder weniger dem Wahnsinn verfallen. Der alte Mann lag zusammengekrümmt am Boden, den irren Blick ins Nichts gerichtet. Die runzligen Lippen zitterten. Vater Strangyeard versuchte ihm zu helfen, aus einer Wasserschüssel zu trinken. Deornoth merkte, wie eine neue Welle der Verzweiflung in ihm aufstieg und ihn fortzureißen drohte. Langsam ging er zu dem schlammbespritzten Holzklotz hinüber, auf dem Prinz Josua saß.
Noch immer lag die Handschelle, die ihn einst in Elias’ Verließ festgekettet hatte, um das dünne Gelenk des Prinzen. Josuas schmales Gesicht lag im Schatten, aber das Weiß seiner Augen glänzte, als er zusah, wie Deornoth sich erschöpft neben ihn fallen ließ. Lange schwiegen die beiden. Überall ringsum hörte man das Muhen der Rinder und das Rufen und Klirren der Reiter. Die Thrithingmänner trieben ihre Herden zur Nacht zusammen.
»Tja, Freund«, meinte der Prinz endlich. »Ich habe ja gesagt, dass es selbst im besten Fall ein armseliges Spiel bleibt, nicht wahr?«
»Wir haben alle unser Möglichstes getan, Hoheit. Und niemand hätte mehr tun können als Ihr.«
»Jemand hat aber mehr getan.« Einen Augenblick lang schien Josua seinen Humor wiedergefunden zu haben »Er sitzt im Hochhorst auf seinem Thron, trinkt und isst an einem gewaltigen Feuer, während wir hier im Schlachtpferch hocken und auf unser Ende warten.«
»Er hat einen üblen Handel abgeschlossen, Prinz. Der König wird seine Wahl noch bereuen.«
»Aber wir, fürchte ich, werden den Tag der Abrechnung nicht mehr miterleben«, seufzte Josua. »Für dich tut es mir fast am meisten leid, Deornoth. Von allen meinen Rittern warst du der treueste. Hättest du nur einem besseren Herrn diese Treue geschenkt …«
»Bitte, Hoheit.« In seiner augenblicklichen Stimmung schmerzten solche Worte. »Außerhalb des himmlischen Königreiches weiß ich keinen, dem ich lieber dienen möchte.«
Josua betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, antwortete jedoch nicht. Eine Gruppe von Reitern passierte die Umfriedung. Die Pfähle bebten, als die Pferde vorüberdonnerten.
»Von diesem Königreich sind wir weit entfernt, Deornoth«, sagte der Prinz nach einer Weile, »und doch zugleich nur wenige Atemzüge.« Sein Gesicht lag jetzt ganz im Dunkel. »Aber vor dem Tod habe ich wenig Angst. Was auf meiner Seele lastet, sind die vielen enttäuschten Hoffnungen.«
»Josua«, begann Deornoth, aber die Hand des Prinzen auf seinem Arm brachte ihn zum Schweigen.
»Sag nichts. Es ist nur die Wahrheit. Vom ersten Atemzuge an bin ich ein Magnet für jede Art von Unheil gewesen. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und Camaris, der beste Freund meines Vaters, wenig später. Die Frau meines Bruders kam in meiner Obhut um. Ihr einziges Kind floh aus meiner Vormundschaft in ein ungewisses Schicksal, das Ädon allein kennt. Naglimund, eine Festung, die gebaut war, jahrelangen Belagerungen standzuhalten, fiel unter mir in wenigen Wochen; zahllose Unschuldige fanden einen furchtbaren Tod.«
»Sprecht nicht so, mein Prinz. Wollt Ihr allen Verrat der Welt auf Euren Rücken laden? Ihr habt getan, was in Euren Kräften stand.«
»Wirklich?«, fragte Josua so ernsthaft, als erörtere er mit den Usiresbrüdern eine theologische Streitfrage. »Ich bin nicht so sicher. Wenn alles vorherbestimmt ist, bin ich vielleicht nur ein armseliger Faden im Teppich des Schicksals. Aber manche sagen auch, dass der Mensch selbst alle Entscheidungen trifft, auch die zum Bösen.«
»Unsinn.«
»Mag sein. Aber jedenfalls steht fest, dass alles, was ich je unternommen habe, unter einem Unstern stand. Ha! Wie müssen Engel und Teufel, alle beide, gelacht haben, als ich schwor, den Drachenbeinthron zu erobern! Ich mit meinem Lumpenheer aus Priestern, Gauklern und Frauen!« Der Prinz stieß ein bitteres Gelächter aus.
Deornoth merkte, wie er zornig
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