Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
ihn zum Schweigen. »Ich will mich nicht mit Euch streiten, Graf Eolair. Tut, wie man Euch geheißen hat, oder lasst es. Das ist alles.«
Eolairs Augen wurden schmal, als sehe er sie zum ersten Mal so, wie sie wirklich war, und missbillige, was vor ihm stand. Seine verächtliche Miene traf sie hart, aber es gab kein Zurück.
Es dauerte sehr lange, bis der Graf antwortete. »Wie Ihr wünscht, Herrin«, sagte er ruhig. »Ich werde tun, was Ihr befehlt. Ich weiß nicht, woher diese plötzliche Laune – Laune! Eine Art Wahnsinn scheint es mir! – stammt. Hättet Ihr mich nach meinem Rat gefragtund mich wie einen Freund Eurer Familie anstatt als Vasallen behandelt, würde ich Euren Wunsch mit Freuden erfüllt haben. So aber leiste ich Euch Gehorsam, doch er wird mit wenig Liebe gewährt. Ihr wolltet Euch als Königin aufspielen, aber stattdessen habt Ihr Euch benommen wie ein unreifes Kind.«
»Schweigt«, befahl sie heiser.
Neugierig starrten die Unterirdischen auf Eolair und Maegwin, als führten die beiden ein wunderliches, unverständliches Schauspiel auf. Für einen Augenblick trübten sich die Lichter in der Halle der Muster, und zwischen den labyrinthischen Steinmassen wuchsen die Schatten ins Ungeheure. Gleich darauf leuchtete das matte Licht wieder auf und erhellte auch die dunkleren Winkel. Nur in Maegwins Herz hatte sich ein Schatten eingenistet, der sich nicht daraus vertreiben ließ.
Die Mannschaft der Eadne-Wolke ging zwar nicht sonderlich zartfühlend mit Miriamel und Cadrach um, als sie die beiden aus dem Laderaum jagte, aber sie wurden auch nicht absichtlich misshandelt. Eher schienen sich die Matrosen über das so ungewöhnliche Paar blinder Passagiere kräftig zu amüsieren. Als die Gefangenen unter dem immer heller werdenden Himmel auftauchten, sparte die Besatzung nicht mit anzüglichen Bemerkungen über die Verderbtheit von Mönchen, die in Begleitung junger Frauen herumzogen, und über die Tugend von jungen Frauen, die sich auf derartige Dinge einließen.
Miriamel starrte trotzig zurück und ließ sich von den Grobheiten nicht einschüchtern. Trotz der bekannten Seemannssitte, Bärte zu tragen, gab es unter den Männern der Eadne-Wolke viele mit glatten Wangen, die für Bartwuchs noch zu jung waren, und Miriamel war überzeugt, im letzten Jahr mehr erlebt zu haben als diese Jünglinge in ihrem ganzen bisherigen Leben.
Nicht zu übersehen war jedoch, dass es sich bei der Eadne-Wolke nicht um irgendeinen schwerfälligen Kauffahrer oder um eine Karacke handelte, die sich vorsichtig und wie ein Waschfass, das auf den Wellen tanzt, an der Küste entlangtastete, sondern um einengeschmeidigen Seefalken. Miriamel, ein Kind der zwischen Fluss und Meer gelegenen Stadt Meremund, konnte die Qualität des Schiffs schon daran erkennen, wie munter es über die Dünung glitt und die weißen Segel über ihr knatterten und tief vom Wind des anbrechenden Tages tranken.
Noch vor einer Stunde war Miriamel verzweifelt gewesen. Jetzt merkte sie, wie sie tief einatmete und ihr Herz neuen Mut fasste. Selbst vom Kapitän ausgepeitscht zu werden schien ihr nun ein erträgliches Schicksal zu sein. Sie war am Leben und auf offener See, und wie ein Zeichen unverzagter Hoffnung stieg am Morgenhimmel die Sonne auf.
Ein Blick auf die am Großmast flatternde Fahne bestätigte Cadrachs Angaben. Der prevanische Fischadler war es, der dort flog, ockergelb und schwarz. Wenn sie nur Zeit gehabt hätte, von Dinivan mehr über den Hof von Nabban und über die Politik des prevanischen Hauses und der anderen Fürsten zu erfahren …
Sie drehte sich um und wollte Cadrach eine Mahnung zuflüstern, verschwiegen zu sein. Aber der Seemann an ihrer Seite, der selbst in der steifen Brise ungewöhnlich streng nach Pökelfleisch roch, brachte sie vor einem hölzernen Treppenaufgang jäh zum Stehen.
Der Mann auf dem Quarterdeck drehte sich um und sah auf sie hinunter. Die verblüffte Miriamel zog hörbar den Atem ein. Sein Gesicht gehörte niemandem, den sie kannte, und auch er schien sie nicht zu erkennen. Er sah jedoch sehr, sehr gut aus. Mit seinen schwarzen Hosen und Stiefeln, der ebenfalls schwarzen Jacke, alles auf das feinste mit goldenen Tressen bestickt, dazu im Rücken einen wehenden Umhang aus funkelndem Goldbrokat, den Wind im goldblonden Haar, kam ihr der fremde Edelmann wie ein Sonnengott aus uralten Sagen vor.
»Kniet nieder, Tölpel!«, zischte einer der Seeleute. Sofort gehorchte Cadrach. Die verdutzte Miriamel folgte
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