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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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bricht unsere ältesten Regeln nicht für irgendjemanden.«
    Simon war schon unter den beiden großen Bäumen, bevor ihm der Sinn ihrer Worte klar wurde. »Er bricht Regeln?«
    Aditu lief jetzt schnell, fast hüpfend. Rasch und sicher wie ein Reh folgte sie dem Pfad, der vom Sommertor nach unten führte. Der Wald schien hier genauso urwüchsig wie anderswo, aber trotzdem anheimelnder. Diese alten, riesigen Bäume hatten gewiss nie eineAxt zu spüren bekommen, aber trotzdem wuchsen sie nirgends über den Wegrand hinaus, und ihre herabhängenden Äste würden nur den Kopf eines übergroßen Wanderers gestreift haben.
    Eine ganze Weile blieben sie auf dem gewundenen Pfad, der über den Rücken einer den Talboden geringfügig überragenden Erhebung lief. Der Wald war so dicht und die Bäume standen zu beiden Seiten des Pfades so eng zusammen, dass Simon nie weiter als einen Steinwurf sehen konnte und allmählich das Gefühl bekam, auf der Stelle zu stehen, während eine endlose Prozession moosbewachsener Stämme an ihm vorüberschritt. Die Luft war entschieden warm geworden. Der wilde Fluss, der, seiner lauten Stimme nach zu urteilen, keine hundert Ellen von ihnen entfernt seinen gewundenen Lauf durch den Talgrund nahm, sättigte die Waldluft mit feinem Dunst. Das schläfrige Summen der Bienen und anderen Insekten wirkte auf Simon wie ein kräftiger Schluck von Binabiks Jagdschnaps.
    Er hatte sich selbst fast vergessen und folgte Aditu wie im Traum, indem er einfach nur einen Fuß vor den anderen setzte – links, rechts, links, rechts. Endlich blieb die Sitha stehen. Zu ihrer Linken wich der Vorhang der Bäume zurück und gab den Blick in den Talgrund frei.
    »Dreh dich um«, sagte sie und sprach plötzlich im Flüsterton. »Vergiss nicht, Seoman, du bist der Erste deiner Art, der Jao é-Tinukai’i zu sehen bekommt – das Boot im Meer der Bäume.«
    Natürlich sah alles ganz anders aus als ein Boot, aber Simon begriff den Namen sofort. Die wogenden Stoffbahnen, die sich zwischen Baumwipfeln und Boden und von Stamm zu Stamm und von Ast zu Ast spannten und in tausend Farben leuchteten, ähnelten auf den ersten Blick tatsächlich kostbaren Segeln, sodass die ganze Tiefe des Tals zunächst von einem ungeheuren und märchenhaften Schiff ausgefüllt zu sein schien.
    Einige dieser Flächen aus strahlendbuntem Tuch hatte man straff gespannt und wie ein Zelt befestigt, sodass Dächer entstanden. Andere umschlangen Baumstämme oder dehnten sich von den Ästen auf die Erde, wo sie durchscheinende Wände formten. Wieder andere wehten und knatterten frei im Wind, mit glänzenden Schnürenan den höchsten Zweigen festgebunden und sich selbst überlassen. Immer, wenn der Wind seine Richtung änderte, gingen Wellenbewegungen durch die ganze Stadt, als wiege sich ein Wald aus Tang auf dem Meeresboden anmutig mit den Gezeiten.
    Stoffe und Schnüre spiegelten mit fast unmerklichen Unterschieden die Farben des Waldes wider, der sie umgab, sodass sich das Künstliche an manchen Stellen kaum vom natürlich Gewachsenen abhob. Ja, als Simon, überwältigt von Jao é-Tinukai’is zarter und zerbrechlicher Schönheit, genauer hinsah, merkte er, dass vielerorts Wald und Stadt sich mit unirdischer Harmonie ineinanderfügten, als handele sich um ein und dasselbe. Der Fluss, der sich mitten hindurchschlängelte, war hier leiser, aber noch immer als unablässige Musik vernehmbar; die Lichtwellen, die er über die sich ständig wandelnden Strukturen der Stadt warf, erhöhten die Illusion einer Unterwasserlandschaft. Simon glaubte, auch die silbrigen Spuren anderer Bäche zu sehen, die zwischen den Bäumen dahinflossen.
    Der Waldboden zwischen den Häusern – wenn man sie überhaupt so bezeichnen konnte – war dicht bewachsen, zumeist mit federndem, grünem Klee. Wie ein Teppich erstreckte er sich überall, ausgenommen auf den Pfaden aus dunkler Erde, die von glänzendweißen Steinen eingefasst wurden. Auch einige der anmutigen, scheinbar planlos angelegten Brücken, die den Wasserlauf überspannten, bestanden aus diesem Gestein. Neben den Pfaden stolzierten fremdartige Vögel mit schillernden Fächerschwänzen, grün, blau und gelb, oder flatterten unsicher zwischen der Erde und den untersten Zweigen naher Bäume hin und her, wobei sie ständig misstönende, ein wenig töricht klingende Schreie ausstießen. Auch in den oberen Ästen blitzten glühende Farben, die Vögeln mit ebenso glänzendem Gefieder, aber erheblich lieblicheren Stimmen

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