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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gehörten.
    Warmer, milder Wind wehte eine Essenz von Gewürzen, Baumsaft und Sommergras in Simons Nase. Der Vogelchor flötete tausend verschiedene Lieder, die sich auf geheimnisvolle Weise zu einem Mosaik von fast erschreckender Schönheit vereinten. Vor ihm dehnte sich die Stadt der Wunder bis tief in den sonnenbeschienenenWald, ein einladenderer Himmel, als er ihn sich jemals erträumt hatte.
    »Es ist … atemberaubend«, flüsterte er.
    »Komm«, sagte Aditu. »Jiriki erwartet dich in seinem Haus.«
    Sie winkte. Als er sich nicht rührte, ergriff sie sanft seine Hand und führte ihn. Simon starrte voller Entzücken und Ehrfurcht um sich, als sie einen anderen Pfad, der den ersten kreuzte, einschlugen und weiter bergab gingen, auf den am äußersten Rand des Talgrundes verlaufenden Weg zu. Das Rascheln seidener Stoffe und der murmelnde Fluss mischten sich zu einer Melodie, tiefer als das Lied der Vögel, sodass ein neuer Klang entstand, wieder ganz anders und doch unendlich beglückend.
    Lange Zeit schaute, schnupperte und lauschte Simon ergriffen, bevor er langsam wieder zu denken begann. »Wo sind die Bewohner?«, fragte er schließlich. Soweit er die Stadt überblicken konnte, auf einer Fläche, die gut und gern zweimal so groß war wie der Platz der Schlachten in Erchester, war keine lebende Seele zu sehen.
    »Wir sind ein Volk von Einzelgängern, Seoman«, erklärte Aditu.
    »Meistens bleibt jeder für sich, außer zu bestimmten Zeiten. Zudem ist jetzt Mittag; viele der Unseren verlassen dann gern die Stadt und wandern umher. Ich wundere mich, dass uns bei den Teichen niemand begegnet ist.«
    Trotz dieser einleuchtenden Worte spürte Simon, dass sich die Sitha über etwas Sorgen machte, als sei sie selbst nicht sicher, ob sie die Wahrheit sprach. Aber er hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden; die Kenntnis der Gesten und Worte, die dort, wo Simon aufgewachsen war, ihre ganz bestimmte Bedeutung hatten, taugte wenig dazu, die Sithi zu verstehen, die er bisher kennengelernt hatte. Trotzdem war er ziemlich sicher, dass seine Führerin beunruhigt war und dass der Grund durchaus in der Leere liegen konnte, die ihm aufgefallen war.
    Vor ihnen trat gebieterisch eine große Wildkatze auf den Weg. Einen entsetzten Augenblick fühlte Simon sein Herz rasen. Aber Aditu blieb trotz der Größe des Tieres nicht stehen, sondern ging so gelassen weiter, als sei es gar nicht vorhanden. Die Wildkatze schlugeinmal kurz mit dem Stummelschwanz, machte dann plötzlich einen Satz und verschwand im Unterholz. Nur ein paar schwingende Farnwedel bezeugten noch, dass sie überhaupt da gewesen war.
    Simon merkte, dass Vögel offenbar nicht die einzigen Lebewesen waren, die ungehindert in Jao é-Tinukai’i umherstreiften. Am Wegrand schimmerten Fuchspelze – schon nachts ein seltener Anblick, ganz zu schweigen vom hellen Mittag – wie Flammen im dichten Buschwerk. Hasen und Eichhörnchen blickten den beiden Vorübergehenden ohne Neugier nach. Simon war fest überzeugt, wenn er sich nach ihnen bückte, würden sie sich ohne Eile seinem ungeschickten Griff entziehen, aber nur, weil sie sich gestört fühlten, und gänzlich ohne Furcht.
    Sie überquerten die Brücke über einen der Flussarme, bogen ab und folgten durch einen langen Weidengang dem Wasserlauf. Durch die Bäume zu ihrer Linken war ein weißes Stoffband geschlungen, das Stämme umwickelte und von Ästen herabhing. Als sie die Reihe der wachestehenden Weiden weiter entlanggingen, gesellte sich ein zweites Band zu dem ersten. Sie wanden sich hierhin und dorthin, kreuzten und begegneten einander, als führten sie eine Art unbewegten Tanz aus.
    Bald wurden noch mehr weiße, unterschiedlich breite Bänder sichtbar, die sich zu einem ständig größer werdenden Muster aus Knoten von fantastischer Kompliziertheit zusammenfügten. Zuerst zeigte das Gewebe nur einfache Formen, bald aber kamen Simon und Aditu an immer aufwendigeren Bildern vorbei, die die Lücken zwischen den Weidenstämmen füllten. Es gab leuchtende Sonnen, bewölkte Himmel über Meeren voller zackiger Wellen, springende Tiere, Figuren in wallenden Gewändern oder filigraner Rüstung, alles aus ineinandergeschlungenen Knoten geformt. Als aus den ersten schlichten Darstellungen im kunstvollen Durcheinander von Licht und Schatten ganze Bildteppiche wurden, verstand Simon, dass hier eine Geschichte erzählt wurde. Das stetig wachsende Gewebe aus geknotetem Stoff stellte Personen dar, die in einem unvorstellbar

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