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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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entlang. Aditus Melodie plätscherte immer weiter wie das Wasser. Die Sonne war verschwunden. Am Himmel erblühte der Sonnenuntergang wie eine Rose, versengte Aldheortes Blätter, Zweige und Stämme mit feurigem Licht und färbte die Steine scharlachrot. Simon sah zu, wie die Flammen am Himmel aufloderten und erstarben. Sie machten einem tiefen Purpur Platz, das dann selbst von schwarzer Dunkelheit verschlungen wurde. Wieder schien sich die Welt schneller zu drehen, aber er wusste sich auf sicherem Boden: Ein Fuß folgte dem anderen, und Aditus Hand lag fest in der seinen.
    Steinlauschers Mantel ist kohlenschwarz,
    seine Ringe leuchten wie Sterne.
    Als sie diese Worte sang, erschien am Himmel tatsächlich ein Schwarm weißer Sterne. Sie blühten und vergingen in rasch wechselnden Mustern. Lichtpunkte auf finsterem Grund vereinten sich zu halb erkennbaren Gesichtern und Gestalten und lösten sich genauso schnell wieder auf.
    Neun davon trägt er; doch sein nackter Finger
    hebt sich und schmeckt den südlichen Wind …
    Während er so unter dem samtschwarzen Himmel und den Rädern der Sterne dahinschritt, schien es Simon, als könne ein ganzes Leben in so unglaublicher Geschwindigkeit vergehen und zugleich die Reise durch die Nacht nur ein einziger Augenblick, wenngleich von schier unendlicher Dauer, sein. Es war, als fahre die Zeit selbst durch ihn hindurch und hinterlasse ein wildes Gemisch aus Düften und Tönen. Der Aldheorte war zu einem einzigen, lebenden Wesen geworden, das sich ständig verwandelte, während die tödliche Kälte schmolz und Wärme sich ausbreitete. Selbst in der Dunkelheitkonnte er die gewaltigen, fast krampfartig eintretenden Veränderungen spüren.
    Im hellen Licht der Sterne gingen sie neben dem plappernden, lachenden Fluss her. Simon glaubte zu fühlen, wie aus den kahlen Zweigen grüne Blätter sprangen und Blumen sich zitternd ihren Weg aus der gefrorenen Erde erkämpften. Zarte Blütenblätter entfalteten sich wie Schmetterlingsflügel. Der Wald schien den Winter abzuschütteln, wie eine Schlange ihre alte, nutzlose Haut abstreift.
    Durch alles hindurch wand sich Aditus Lied wie ein einzelner goldener Faden in einem Teppich aus gedämpften Farben.
    Veilchenblau sind die Schatten
    im Ohr des Luchses.
    Sein Schritt schickt die Grillen zu Bett
    und weckt die weiße Rose …
    Morgenlicht begann den Aldheorte zu durchdringen. Es kam von allen Seiten, als hätte es keinen bestimmten Ursprung. Der Wald schien zu leben, jedes Blatt, jeder Ast sprungbereit, wartend. Tausend Töne und zahllose Düfte erfüllten die Luft, Vogelzwitschern und Bienengesumm, der Geruch atmender Erde, die süße Fäulnis von Fliegenpilzen, der trockene Zauber der Pollen. Von keiner Wolke verdeckt, stieg die Sonne zwischen den hochragenden Baumkronen an einen Himmel von reinstem, blassem Blau empor.
    Himmelsingers Umhang trägt goldene Schnallen.
    Aditu sang triumphierend, und ringsum schien der Wald zu erbeben, als schlüge in ihm ein gewaltiger, einheitlicher Puls.
    Sein Haar ist voll Nachtigallenfedern.
    Alle drei Schritte wirft er Perlen hinter sich
    und Safranblumen voran …
    Sie blieb stehen und ließ Simons Hand los. Schlaff wie ein entgräteter Fisch sank sein Arm herunter. Aditu stellte sich auf die Zehenund streckte sich. Sie hob die Handflächen der Sonne entgegen. Ihre Taille war sehr schmal.
    Es dauerte lange, bis Simon Worte fand. »Sind wir …«, stammelte er endlich, »sind wir …?«
    »Nein, aber den schwierigsten Teil haben wir hinter uns«, erwiderte sie und musterte ihn mit einem drolligen Blick. »Ich dachte, du würdest mir die Hand brechen, so fest hast du zugefasst.«
    Simon dachte an ihren ruhigen, starken Griff und fand das unwahrscheinlich. Er lächelte benommen und schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie …« Die Worte wollten sich nicht einstellen. »Wie weit sind wir gekommen?«
    Die Frage schien Aditu zu überraschen. Sie dachte einige Augenblicke angestrengt nach. »Ziemlich weit in den Wald hinein«, erwiderte sie endlich. »Ziemlich weit.«
    »Habt Ihr den Winter weggezaubert?«, fragte Simon und drehte sich stolpernd im Kreis. Nirgends lag mehr Schnee. Das Morgenlicht stach wie ein Messer durch die Bäume und bohrte sich in die Decke feuchter Blätter am Boden. In einer Säule aus Licht bebte ein Spinnennetz. »Der Winter ist noch da«, erklärte Aditu. »Wir sind es, die fortgegangen sind.«
    »Wie?«
    »Der Winter, den du meinst, ist falsch, wie du weißt. Hier, im wirklichen

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