Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
ebenmäßigen Zähne.
Miriamel fand den Vorschlag reizvoll, war jedoch vorsichtig. Es lag eine sprungbereite Kraft in Aspitis, als verberge er, was in ihm steckte, um sie nicht zu erschrecken. In gewisser Weise erinnerte er sie an den alten Herzog Isgrimnur, der Frauen gegenüber eine so sanfte, fast übertriebene Ehrerbietung an den Tag legte, als könne seine polternde Schroffheit jeden Augenblick die Oberhand gewinnen und aus ihm herausbrechen, um sie zu schockieren und zu beleidigen. Auch Aspitis schien etwas zu unterdrücken. Es reizte Miriamel, herauszufinden, was es war.
»Seid bedankt, Graf«, meinte sie endlich. »Es wäre mir eine Ehre. Ihr müsst mich jedoch entschuldigen, wenn ich Euch von Zeit zu Zeit verlasse, um nach Bruder Cadrach zu sehen, damit es ihm nicht an Beistand und Gesellschaft mangelt.«
»Tätet Ihr das nicht«, entgegnete Aspitis und nahm elegant ihren Arm, »so wärt Ihr nicht die gute und milde Frau, die Ihr seid. Ich merke schon, Ihr beide steht einander nahe wie Verwandte, und Ihr achtet Cadrach wie einen geliebten Onkel.«
Miriamel konnte sich nicht enthalten zurückzublicken, als Aspitis sie über das Deck führte. Über ihr schrien die Matrosen im Tauwerk der Takelage einander die Worte zu, um im Heulen des Windes gehört zu werden. Der Kilpa schwamm noch immer in der bewegten grünen See und beobachtete sie so feierlich wie ein Priester. Sein offener Mund war ein rundes, schwarzes Loch.
Der gräfliche Knappe, ein dünner, blässlicher Jüngling mit vorwurfsvoll gerunzelter Stirn, beaufsichtigte die beiden Pagen, die die Tafel mit Obst, Brot und weißem Käse deckten. Thures, der kleinere Page, stolperte unter dem Gewicht einer Platte, auf der eine kalte Rinderkeule lag. Dann blieb er als Helfer daneben stehen, um dem Knappen jedes Mal, wenn dieser Tranchierkünstler ungeduldig mit der Hand wedelte, ein neues Schneidwerkzeug zu reichen. Der kleine Junge machte einen aufgeweckten Eindruck. Die dunklen Augen folgten aufmerksam dem teiggesichtigen Knappen und achteten auf jedes kleinste Zeichen. Trotzdem fand der verdrießliche Ältere mehrfach Gelegenheit, ihm einen Puff zu versetzen, weil er ihm zu langsam zur Hand ging.
»Ihr scheint Euch auf einem Schiff sehr wohl zu fühlen, Herrin Marya«, begann Aspitis die Unterhaltung. Aus einem sehr schönen Messingkrug füllte er einen Weinkelch und ließ ihn von dem zweiten Pagen zu ihr hinübertragen. »Habt Ihr schon einmal eine Schiffsreise gemacht? Es ist ein weiter Weg von Cellodshire bis zu dem, was wir in Nabban das Veir Maynis – das Große Grün – nennen.«
Miriamel verfluchte sich innerlich. Vielleicht hatte Cadrach doch recht gehabt; sie hätte sich eine einfachere Geschichte ausdenken sollen. »Ja. Ich meine, nein, noch nicht. Jedenfalls nicht richtig.« Sie nahm einen langen, bedächtigen Schluck von ihrem Wein und zwang sich trotz des sauren Geschmacks zurückzulächeln. »Wir sind mehrmals mit dem Schiff den Gleniwent hinabgefahren. Ich war auch auf dem Kynslagh.« Sie nahm einen zweiten tiefen Zug und merkte, dass sie den Kelch geleert hatte. Verlegen setzte sie ihn ab. Was musste dieser Mann von ihr denken?
»Wer ist ›wir‹?«
»Wie bitte?« Schuldbewusst schob sie den Kelch von sich fort. Das betrachtete Aspitis als Aufforderung und füllte ihn wieder. Mit verständnisvollem Lächeln schob er ihn auf ihre Seite des von einem hochstehenden Rand umgebenen Tisches zurück. Als sich die Kabine mit der Bewegung des Schiffs schief stellte, drohte der Wein über den Kelchrand zu fließen. Miriamel griff danach und hielt ihn ganz vorsichtig fest.
»Ich sagte, wer sind ›wir‹, Herrin Marya, wenn die Frage gestattet ist? Ihr und Euer Vormund? Ihr und Eure Familie? Ihr erwähntet Euren Vater, Baron …? Baron …?« Er zog die Stirn in Falten. »Entschuldigt tausendmal. Ich vergaß seinen Namen.«
Miriamel hatte ihn auch vergessen. Sie überbrückte den Augenblick des Erschreckens mit einem weiteren Schluck Wein. Es war ein ziemlich langer Schluck, während sie mit ihrem Gedächtnis kämpfte. Endlich fiel ihr der Name, den sie sich ausgesucht hatte, wieder ein. Sie schluckte.
»Baron Seoman.«
»Natürlich – Baron Seoman. War er es, der Euch mit auf den Gleniwent nahm?«
Sie nickte und hoffte, sich damit keine weiteren Schwierigkeiten einzuhandeln.
»Und Eure Mutter?«
»Tot.«
»Oh.« Aspitis’ goldenes Gesicht verdüsterte sich schlagartig. »Vergebt mir. Ich bin unhöflich, Euch so viele Fragen zu
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