Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
sonst hätte man uns schon aufgerieben und abgeschlachtet wie die Tauben. Bleibt nur schön bei uns.«
Strangyeard schien unsicher. »Wenn Ihr meint, Deornoth …«
»Allerdings meine ich das. Ganz abgesehen davon, dass wir Euren klugen Kopf dringender brauchen als alles andere, vom Prinzen einmal abgesehen.«
Der Archivar lächelte schüchtern. »Das ist sehr freundlich.«
»Wenn wir freilich«, ergänzte Deornoth und merkte, wie seine Stimmung sich verdüsterte, »den morgigen Tag überleben wollen, brauchen wir mehr als kluge Köpfe. Es wird auch eine gehörige Portion Glück nötig sein.«
Nachdem er noch eine ganze Weile so mit dem Archivar gesessen hatte, beschloss Deornoth, sich einen bequemeren Ort zu suchen, um vor Anbruch der Dämmerung doch noch ein Stündchen Schlaf zu ergattern. Er stieß Strangyeard an, dem der Kopf auf die Brust gesunken war.
»Ich überlasse Euch den Rest, Vater.«
»Mmmmm …? Oh! Gewiss, Herr Deornoth.« Der Priester nickte energisch, um zu beweisen, wie munter er war. »Gewiss. Legt Euch nur schlafen.«
»Die Sonne wird bald aufgehen, Vater.«
»So ist es.« Strangyeard lächelte.
Deornoth entfernte sich nur wenige Dutzend Schritte, um sich dann auf einer ebenen Stelle im Windschatten eines umgestürzten Baumes niederzulegen. Ein bitterkalter Wind strich über den Waldboden, als sei er auf der Jagd nach warmen Körpern. Deornoth wickelte sich in seinen Mantel und versuchte es sich bequem zu machen. Nach einer langen, kalten Weile kam er zu dem Ergebnis, dass er vermutlich doch nicht einschlafen würde. Leise vor sich hin brummend, um die anderen Schläfer in der Nähe nicht zu wecken, stand er schließlich auf und schnallte den Schwertgurt fest, um sich wieder zu Vater Strangyeards Wachtpostenstellung zurückzubegeben.
»Ich bin’s, Vater«, sagte er leise, als er zwischen den Bäumen auf die kleine Lichtung hinaustrat. Verblüfft blieb er stehen. Ein abschreckend weißes Gesicht starrte mit schmalen schwarzen Augen zu ihm auf. Strangyeard, schlafend oder besinnungslos, hing in den Armen des dunkelgewandeten Angreifers. Am entblößten Hals des Priesters lag eine Messerklinge, die wie der Dorn einer großen Rose aus Ebenholz aussah.
Noch während Deornoth einen Satz nach vorn machte, erkannte er in den nächtlichen Schatten zwei weitere bleiche, schlitzäugige Gesichter und rief sie bei ihrem alten Namen.
»Weißfüchse!« , schrie er. »Die Nornen! Sie greifen uns an!«
Brüllend schlug er nach dem blasshäutigen Wesen und umschlang es mit beiden Armen. Sie stürzten, der Archivar mitten darunter, sodass Deornoth kurz in einem Gewirr um sich schlagender Glieder verloren war. Er fühlte das Wesen nach ihm greifen, die dünnen Glieder kräftig und gelenkig. Hände tasteten nach seinem Gesicht und pressten sein Kinn zurück, um den Hals freizulegen. Deornoths Faust schoss vor und landete auf etwas Knochenhartem. Ein zischender Schmerzensschrei belohnte ihn. Jetzt konnte er auch überall ringsum unter den Bäumen Krachen und Schreie hören. Er fragtesich nur halb bewusst, ob das hieß, dass dort noch mehr Feinde steckten, oder ob seine Freunde endlich aufgewacht waren.
Mein Schwert! , dachte er. Wo ist mein Schwert?
Aber das steckte in der Scheide fest, die sich an seinem Gürtel verdreht hatte. Der Mond schien grell zu zerspringen. Wieder schob sich das weiße Gesicht vor sein Blickfeld, die Lippen hochgezogen, die Zähne gefletscht wie bei einem ersaufenden Köter. Die Augen, die sich in seine bohrten, waren so kalt und unmenschlich wie Steine im Meer. Deornoth suchte mit den Fingern nach seinem Dolch. Der Norne packte ihn mit der einen Hand an der Kehle; die andere Hand, ein bleicher Schatten, hob sich.
Er hat ein Messer! Seltsamerweise hatte Deornoth das Gefühl, aufeinem breiten Fluss zu schwimmen, getrieben von einer gemächlichen und großzügigen Strömung, während gleichzeitig panikerfüllte Gedanken in seinem Kopf herumsurrten wie Fliegen. Verflucht, ich vergaß sein Messer!
Einen weiteren, unendlich langen Augenblick starrte er den Nornen an, die schmalen Züge eines Gesichtes aus einer anderen Welt, das weiße Haar, das wie Spinnwebe an der Stirn klebte, die farblosen, eng an das rote Zahnfleisch gepressten Lippen. Dann stieß Deornoth den Kopf nach vorn und ließ seine Stirn in das leichenfahle Antlitz krachen. Bevor er den Aufprall überhaupt gespürt hatte, warf er sich nach vorne. Wie eine Wolke stieg ein riesiger Schatten in ihm auf. Schreie und
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