Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
verbunden, allesamt Teilchen eines größeren Mosaiks. So wie Binabik und Sisqi: die beiden liebten einander innig, aber gleichzeitig war ihre Zweierwelt mit so vielen anderen Welten verknüpft; mit Simons eigener, mit der ihres Volkes, mit Prinz Josuas und mit Geloës Welt … Es war wirklich ganz erstaunlich, dachte Simon, wie jedes Ding Bestandteil eines anderen Dinges war! Aber obwohl die Welt so unermesslich riesig war, kämpfte doch jedes Staubkorn in ihr um den Fortbestand seines eigenen Daseins. Und auf jedes Staubkorn kam es an.
Das war es, was das Drachenblut ihn – wie, wusste er nicht – gelehrt hatte. Er war nicht groß; er war sogar sehr klein. Dennoch aber war er wichtig, so wie jeder Lichtpunkt an einem dunklen Himmel der Stern sein konnte, der einen Seefahrer zum sicheren Hafen lenkte oder zu dem in schlafloser Nacht ein einsames Kind aufsah.
Simon schüttelte den Kopf und pustete auf seine eiskalten Hände. Seine Ideen gingen ihm durch und hüpften herum wie Mäuse in einer unversperrten Speisekammer. Er betastete erneut seine Handschuhe,aber sie waren noch nicht trocken. Die Hände unter den Achselhöhlen rückte er ein Stückchen näher ans Feuer.
»Bist du von großer Sicherheit, dass Geloë ›Stein des Abschieds‹ sagte, Simon?«, erkundigte sich Binabik. »Seit zwei Nächten lese ich Ookequks Schriftrollen, und kein Glück habe ich.«
»Ich habe dir alles wiederholt, was sie gesagt hat.« Simon blickte zur Höhle hinaus, wo die angepflockten Widder sich zusammendrängten und gegeneinanderwogten wie eine bewegliche Schneewehe. »Ich könnte es gar nicht vergessen. Sie sprach durch den Mund des kleinen Mädchens, das wir damals gerettet haben, Leleth, und sie sagte: › Geht zum Stein des Abschieds. Das ist der einzige Ort, an dem ihr vor dem Sturm, der sich zusammenbraut, in Sicherheit seid – zumindest für eine kleine Weile. ‹«
Binabik kniff ratlos die Lippen zusammen. Er warf Sisqi ein paar schnelle Qanucworte zu. Sie nickte ernsthaft. »Ich habe keinen Zweifel an dir, Simon. Zu viel haben wir zusammen erlebt. Und ich kann nicht zweifeln an Geloë, die die Weiseste ist, die ich kenne. Es muss an meinem armseligen Begreifen liegen.« Er deutete mit der kleinen Hand auf das flach ausgebreitete Stück Leder, das vor ihm lag. »Vielleicht habe ich nicht die richtigen Schriftstücke mitgenommen.«
»Du grübelst zu viel, kleiner Mann«, rief Sludig ihm von der anderen Seite der Höhle zu. »Haestan und ich zeigen deinen Freunden, wie man Eroberer spielt. Mit euren Troll-Wurfsteinen geht es beinah so gut wie mit richtigen Würfeln. Komm, spiel mit, denk eine Weile an etwas anderes.«
Binabik schaute lächelnd auf und winkte Sludig zu. »Warum machst du nicht mit bei ihrem Spiel, Simon?«, fragte er. »Gewiss wäre es fesselnder, als mir in meiner Verwirrung zuzusehen.«
»Ich grüble auch«, erklärte Simon. »Ich denke über den Urmsheim nach. Über Igjarjuk und alles, was dort geschehen ist.«
»Es war nicht so, wie du es dir vorgestellt hast, als du jung warst, hmmm?«, meinte Binabik, der sich wieder in das Studium seiner Schriftrolle vertieft hatte. »Nicht immer ist es so, wie alte Lieder es erzählen – vor allem nicht, wenn es um Drachen geht. Doch du, Simon, hast dich so tapfer benommen wie nur irgendein Herr Camaris oder Tallistro.«
Simon merkte, dass er vor Freude errötete. »Ich weiß nicht. Es kam mir nicht wie Tapferkeit vor. Ich meine, was hätte ich sonst tun sollen? Aber das ist es nicht, worüber ich nachgedacht habe. Ich dachte an das Drachenblut. Es hat mich nicht nur in diesem Punkt verändert.« Er deutete auf seine Wange und den weißen Streifen, der jetzt durch sein Haar lief. Binabik hatte nicht aufgeblickt und darum die Geste nicht bemerkt, aber Sisqi sah es. Sie lächelte scheu, die dunklen Augen auf ihn geheftet wie auf ein freundliches, aber möglicherweise gefährliches Tier. Gleich darauf erhob sich die Trolljungfrau und entfernte sich. »Durch das Blut sehe ich jetzt vieles ganz anders«, fuhr Simon fort und schaute ihr nach.
»Die ganze Zeit, während du in diesem Loch gefangen warst, dachte ich nach und träumte.«
»Und was hast du gedacht?«, fragte Binabik.
»Schwer zu sagen. An die Welt, und wie alt sie ist. Daran, wie klein ich bin. Selbst der Sturmkönig ist in gewisser Weise klein.«
Binabik musterte Simons Gesicht. Die braunen Augen des Trolls waren ernst. »Ja, vielleicht ist er klein unter den Sternen, Simon, wie ein Berg klein
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