Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Lehrling, den Ookequk je hätte haben können –, wüsste ich nichts von Enki-e-Shao’saye. Eine der Neun Städte war es, reich an Schönheit und alten Lehren.«
»Dann weißt du also, wo der Stein des Abschieds liegt?«
»Enki-e-Shao’saye stand am südöstlichen Rand des großen Waldes Aldheorte.« Binabik runzelte die Stirn. »Das ist, offensichtlich, recht weit von hier entfernt. Viele Reisewochen werden wir haben. Die Stadt erhob sich auf der uns entgegengesetzten Seite des Waldes, über dem flachen Land der Hoch-Thrithinge.« Seine Züge hellten sich auf. »Aber wir kennen nun unser Ziel. Das ist gut. Sesuad’ra.« Er ließ das Wort nachdenklich auf der Zunge zergehen. »Ich habe ihn niemals gesehen, aber Worte von Ookequk kommen in mein Gedächtnis. Es ist ein seltsamer und furchtbarer Ort, sagt die Legende.«
»Dann frage ich mich, wieso Geloë ihn ausgesucht hat«, meinte Simon.
»Vielleicht gab es nichts anderes, das sie wählen konnte.«
Binabik widmete sich seiner kalten Suppe.
Die Widder, durchaus verständlich, mochten es gar nicht, dass Qantaqa hinter ihnen hertrabte. Selbst nach mehreren Tagen versetzte sie der Wolfsgeruch noch in größte Unruhe. Darum ritt Binabik auch weiterhin vor den anderen her. Geschickt suchte sich Qantaqa ihren Weg über die schmalen, steilen Pfade, und die Widderreiter folgten ihr. Sie sangen oder sprachen leise miteinander, mit gedämpfter Stimme, um Makuhkuya, die Lawinengöttin, nicht aufzuwecken. Simon, Haestan und Sludig bildeten die Nachhut und bemühten sich, nicht in die tiefen Hufspuren zu treten, damit der Schnee nicht über den Rand ihrer gut eingeölten Stiefel drang.
War der Mintahoq gerundet gewesen wie ein von der Last der Jahre gebeugter Greis, bestand der Sikkihoq ganz aus Ecken und steilen Kanten. Die Trollpfade klebten am Rücken des Berges, wanden sich weit nach außen, um vereiste Felssäulen zu umgehen, tauchten vom Sonnenlicht in den Bergschatten ein oder folgten dem Innenrand einer senkrechten Spalte, die auf der anderen Seite des Pfades in Nebel und Schnee versank.
Stunde um Stunde stapften sie so die engen Steige hinunter. Simon, der sich immer wieder den wirbelnden Schnee aus den Augen wischen musste, ertappte sich dabei, dass er betete, sie möchten nur bald unten ankommen. Ob seine Kräfte nun wiederkehrten oder nicht – für ein Leben im Gebirge war er nicht geschaffen. Die dünne Luft schmerzte in seinen Lungen und machte seine Beine schwach und schwer wie mit Wasser vollgesogene Brotlaibe. Als er am Ende des Tages zu schlafen versuchte, waren alle Muskeln so schmerzhaft verspannt, dass sie beinahe zu summen schienen.
Allein schon die Höhe, in der sie wanderten, beunruhigte ihn. Er hatte sich stets für einen furchtlosen Kletterer gehalten, aber das war damals, bevor er den Hochhorst verlassen hatte und in die weite Welt gezogen war. Jetzt fiel es ihm erheblich leichter, starr auf die Rückseite von Sludigs sich hebenden und wieder senkenden braunen Stiefeln zu blicken, als sich umzuschauen. Richtete er die Augen auf die überhängenden Steinmassen über oder auf die leeren Tiefenunter ihrem Pfad, so hatte er Schwierigkeiten, sich auch nur an ebenen Boden zu erinnern. Irgendwo, so rief er sich ins Gedächtnis zurück, gab es Orte, an denen man sich umdrehen und in jeder beliebigen Richtung weitergehen konnte, ohne einen tödlichen Sturz zu riskieren. Er hatte an einem solchen Ort gelebt, also musste es sie noch geben. Irgendwo lag wie ein dicker Teppich Meile um flache Meile und wartete auf Simons Füße.
Sie hatten an einer breiteren Stelle haltgemacht, um zu rasten. Simon half Haestan, den Rucksack abzunehmen, und sah zu, wie der Wachsoldat auf einem schneefeuchten Stein niedersank; er atmete so schwer, dass ihn bald ein feuchter Nebel umgab. Einen Augenblick streifte Haestan die Kapuze herunter, erschauerte jedoch, als der Höhenwind ihn erfasste. Schnell zog er die Kapuze wieder über den Kopf. In seinem dunklen Bart glitzerten Eiskristalle.
»Kalt, Junge«, meinte er. »Bitter.« Er sah auf einmal alt aus.
»Hast du eigentlich eine Familie, Haestan?«, fragte Simon unvermittelt.
Der Wachsoldat schwieg einen Moment verblüfft und lachte dann. »So etwas Ähnliches. Ich hab eine Frau, eine Ehefrau, aber nichts Kleines. Erster Säugling starb, danach kam nichts mehr. Hab sie seit vor dem Winter nicht mehr gesehen.« Er schüttelte den Kopf. »Ist aber in Sicherheit. Ging nach Hewenshire zu ihren Leuten – hab ihr gesagt,
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