Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Dann wurde sein Blick milder. »Aber unser Herr Usires versteht, was schwierige Lasten sind.« Er schlug das Zeichen des Baumes, und sie ritten an den Bewaffneten des Feldwebels vorbei in die Stadt.
»Dieser Soldat machte einen äußerst beunruhigten Eindruck«, bemerkte Miriamel, als sie die Hauptstraße hinaufklapperten. An vielen Häusern waren die Läden vorgelegt, aber aus den Türöffnungen lugten blasse Gesichter und musterten die Reisenden. Für eine Stadt von der Größe von Granis Sacrana waren die Straßen überraschendleer. Kleine Gruppen von Soldaten ritten zwischen den Toren hin und her, aber sonst huschten nur wenige Menschen durch die staubige Gasse und warfen Miriamel und ihren Gefährten misstrauische Blicke zu, um sofort wieder nach unten zu schauen und davonzuhasten.
»Der Feldwebel ist nicht der Einzige«, erwiderte Dinivan, während sie im Schatten der hohen Häuser und Geschäfte weiterritten. »Heutzutage fährt die Furcht über ganz Nabban dahin wie eine Seuche.«
»Furcht kommt, wenn man sie einlädt«, erklärte Cadrach gelassen, wandte jedoch vor ihren fragenden Blicken das Gesicht ab.
Als sie den in der Stadtmitte gelegenen Marktplatz erreichten, merkten sie, weshalb die Straßen von Granis Sacrana so unnatürlich leer gewesen waren. Eine Menschenmenge umstand in Sechserreihen den ganzen Platz, flüsternd und lachend. Obwohl das letzte Glimmen des Nachmittags noch den Horizont wärmte, waren rings um den Platz die Fackeln in ihren Ringen bereits entzündet, warfen flackernde Schatten in die dunklen Lücken zwischen den Häusern und beleuchteten die weißen Gewänder der Feuertänzer, die in der Mitte des Gemeindeangers umherwogten und laute Rufe ausstießen.
»Das müssen ja über hundert sein!«, sagte Miriamel überrascht. Dinivan machte ein finsteres Gesicht. Einige der Zuschauer riefen Spottworte und warfen mit Steinen oder Abfall nach den hüpfenden Tänzern. Andere aber starrten sie gespannt, ja ängstlich an, wie ein Tier, dem man nicht den Rücken zu kehren wagt.
»Zu spät zur Reue!«, kreischte einer der Weißgewandeten und machte einen Satz von seinen Gefährten weg, um vor der ersten Reihe der Zuschauer auf- und niederzuzucken wie ein Hampelmann. Die Menge wich vor ihm zurück, als fürchte sie sich vor Ansteckung. »Zu spät!«, schrie er. Sein Gesicht, das eines jungen Mannes, dem der erste Bart spross, zerriss in schadenfrohem Grinsen. »Zu spät! Die Träume haben es uns verkündet! Der Herr kommt!«
Eine andere weißgekleidete Gestalt kletterte auf einen Felsblock in der Mitte des Angers und winkte ihren Mittänzern Schweigen zu. Die Zuschauer murmelten, als sie die weite Kapuze zurückwarf undein gelbhaariger Frauenkopf zum Vorschein kam. Sie hätte hübsch sein können, wären nicht die starren, im Fackelschein weißgeränderten Augen und das breite, grässliche Lächeln gewesen.
»Das Feuer kommt!«, rief sie. Die anderen Tänzer sprangen in die Luft, johlten und wurden dann still. Aus der Menge ringsum kamen ein paar Schmährufe, die aber schnell verstummten, als sie die brennenden Augen auf die Störer richtete. »Glaubt nicht, dass ihr davonkommt«, sagte sie höhnisch, und in der plötzlichen Stille trug ihre Stimme weit. »Die Feuer kommen zu allen – die Feuer und das Eis, die die Große Verwandlung bringen. Der Herr wird keinen verschonen, der nicht für ihn bereit ist.«
»Du lästerst gegen unseren wahren Erlöser, Dämonendirne!«, rief plötzlich Dinivan und stand im Steigbügel auf. Seine Stimme war voller Kraft. »Ihr belügt diese Menschen!«
Einige in der Menge wiederholten seine Worte, und das Murmeln verstärkte sich. Die Frau in Weiß drehte sich um und gab ein paar Weißgewandeten in ihrer Nähe ein Zeichen. Mehrere hatten zu ihren Füßen vor dem Stein gekniet, als beteten sie. Einer erhob sich jetzt und ging über den Platz, während die Frau stehen blieb und gebieterisch ins Weite starrte, die irren Augen auf den drohenden Dämmerungshimmel gerichtet. Gleich darauf kam der Mann mit einer Fackel aus einem der Ringe zurück. Sie ergriff sie und hob sie hoch über den Kopf.
»Was ist Usires Ädon anderes«, schrie sie, »als ein hölzernes Männchen an einem kleinen Holzbaum? Was sind die Könige und Königinnen der Menschen anderes als weit über ihren natürlichen Stand erhobene Affen? Der Herr wird alle niederwerfen, die wider ihn aufstehen, und seine Herrschaft wird sich erheben über alle Meere und Länder von Osten Ard. Der
Weitere Kostenlose Bücher