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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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Stattdessen konnte man zwischen ihnen hin und her springen, aber in alle Richtungen, wie man wollte, und es ergab trotzdem noch einen Sinn. Es fügte sich zusammen. So, wie wenn du dein Spiegelbild im Wasser siehst, dann wirfst du einen Stein rein und das Bild zerplatzt in tausend Blasen, aber alle bestehen aus demselben Wasser.«
    Â»Und Plankton«, warf Sera ein. »Oder ist das dieser griechische Philosoph?«
    Â»Mein Körper«, ignorierte Emma Sera, »der da unten auf dem OP-Tisch lag, umgeben von Ärzten, war nur das Gefäß für diese Bilder. Sie glitten rein und raus, wie es ihnen gerade passte, weil der Teil von mir, der noch lebte, sich gerade unbewusst erinnerte. An all das. Klingt ein bisschen unsinnig, oder?«
    Â» Unsinnig ist nicht das Wort, das ich verwenden würde«, antwortete Sera vorsichtig.
    Â»Ich wusste plötzlich sogar, warum ich immer so viel Pech hatte in letzter Zeit. Selbst das erschien mir auf einen Schlag völlig logisch und sogar notwendig.«
    Â»Und warum?«
    Emma schwieg. Dann entfuhr ihr ein kleiner Seufzer. Sie zuckte enttäuscht mit den Schultern, was ihre Wunde mit einem tadelnden Schmerz quittierte. »Ich hab’s vergessen«, antwortete sie endlich.
    Â»Sag mal, du erfindest das doch nicht etwa gerade alles?«
    Â»Nein!«, protestierte Emma mit letzter Kraft. »Genau in dem Moment nämlich, in dem ich diese Erleuchtung hatte, traf mich ein elektrischer Schlag, der mich halb zerriss. Es war, als hätte jemand mit brutaler Gewalt an der Schnur gezogen, an der der Papierdrachen hing, obwohl er gerade so schön auf dem Wind segelte. Auf einmal waren sämtliche Bilder ausgelöscht, und ich musste zurück. Ich hätte heulen können, aber Angst hatte ich nicht mehr. Obwohl die ganze Leichtigkeit wieder von mir abfiel, war das Einzige, was ich empfand, Bedauern. Richtig tiefes Bedauern. Es war, als wäre ich Musik gewesen – herrliche Musik – und müsste plötzlich wieder zurück in das seelenlose Instrument, aus dem ich gekommen war.«
    Â»Oder ein Pas de deux«, murmelte Sera schläfrig, »der wieder in den blutenden Füßen landet, mit denen er getanzt wurde.«
    Â»Jedenfalls«, sagte Emma, »flackerten die Puzzleteilchen noch einmal auf wie ein Wetterleuchten an den Rändern meines Lebens. Dann löste sich die Schnur, an der ich geschwebt hatte, in nichts auf.«
    Â»Und das helle Licht war nur noch die OP-Lampe, die auf den Winter deines Missvergnügens schien wie die Sonne Yorks«, murmelte Sera.
    Â»Du und Shakespeare«, sagte Emma.
    Â»Süße, ich glaube dir ja«, sagte Sera leise. »Ich weiß nur nicht, ob ich es schrecklich oder schön finden soll, was du erlebt hast. Der Gedanke, dass du auf einmal nicht mehr da sein könntest … Du kannst jetzt ruhig lachen, wenn du willst, aber ich mag dich wirklich sehr, sehr gern. Klar?« Sie versetzte Emma einen sanften Stups mit dem Ellbogen. »Du hast nicht zufällig Michael Jackson da oben gesehen? Oder wenigstens Roy Black?«
    Emma schwieg. Ein Bild blitzte vor ihrem inneren Auge auf, unscharf, aber blendend hell. Dann verschwand es sofort wieder, als hätte ihre Seele etwas gespeichert, dessen Anblick ihr gar nicht gestattet gewesen war.
    Â»Gott?« Sera ließ nicht locker. »Du glaubst doch an Gott?«
    Â»Manchmal träume ich von ihm«, gab Emma zu, »wenn ich lange an einem Bild gearbeitet habe, auf dem er dargestellt ist. Und manchmal bete ich.«
    Â»Ich auch. Ein Choreograf hat mal zu mir gesagt, Tanz könne ein Gebet sein. Wenn ich heute Nacht für dich bete, betest du dann auch für mich?«
    Â»Versprochen«, sagte Emma müde. »Soll ich um etwas Bestimmtes bitten?«
    Â»Bete dafür, dass ich bald wieder einen Zehntausender schaffe. Oder wenigstens einen Achttausender. Irgend was, das höher ist als die Matratze, auf der wir liegen.«
    Emma errötete. »Für so was bete ich nicht. Schäm dich.«
    Â»Wieso? Die Aussicht von da oben ist göttlich!« Sera rappelte sich auf und griff nach ihrem Mantel. »Ach, ich habe dir noch gar nicht erzählt, dass ich eine Ausbildung zur Hellseherin mache. Irgendwann ist mit dem Tanzen ja mal Schluss, und dann möchte ich nicht ohne ein Ass im Ärmel dastehen.«
    Â»Ich wusste nicht, dass man sich dazu ausbilden lassen kann«, sagte Emma. »Ich dachte, Hellsehen ist eine

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