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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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nicht mehr an Schläuchen hing.
    Auf dem Nachttisch neben ihrem Bett stand ein Tablett mit einem Zwieback auf einem Porzellantellerchen, einem Apfel und einer Suppenterrine mit einer Brühe, die nach nichts roch. Auf der Fensterbank leuchteten Amaryllis und Lilien bunt im Licht der hereinscheinenden Wintersonne. Ein Adventskranz mit vier roten Kerzen streute trockene Nadeln aus.
    Eine andere Schwester als die, an die Emma sich erin nern konnte, half ihr sich aufzusetzen. »Gut Morgen«, sagte die Schwester, »wie uns geht heute?«
    Â»Schlecht«, krächzte Emma.
    Die Schwester schüttelte tadelnd den Kopf, lächelte aber gleich darauf wieder. »Viele Leute schicken dir Blumen, damit geht besser«, sagte sie.
    Mark war nicht da gewesen. Und er hatte auch keine Blumen geschickt.
    Â»Doktor sofort schaut nach dir«, sagte die Schwester.
    Â»Ich will ihn nicht sehen. Nicht ohne meinen Anwalt.« Die Schwester strich die Decke über Emmas Bauch mit einem Ruck gerade und stellte das Tablett darauf ab. Emma bäumte sich auf. Die Schwester sagte: »Nur Blinddarm raus, nicht so schlimm, du müssen nicht schmerzen.«
    Emma war in kalten Schweiß gebadet. Sie stieß das Tablett weg, schlug die Decke zurück und tastete vorsich tig nach der Stelle, wo ein Stück glühendes Eisen in ihrem Bauch zu stecken schien. Nachdem sie das Krankenhaushemd weit genug hochgezogen hatte, entdeckte sie den mit Klebeband befestigten Wundverband über ihrer linken Leiste. »Was haben die mit mir gemacht?«
    Die Schwester war damit beschäftigt, Tablett, Zwieback und Apfel aufzuheben, bevor sie Brühe und Tee vom PVC wischte. »Doktor guter Mann, gute Operationen, viele leben, wenig sterben«, sagte sie missbilligend. »Er nicht glücklich, wenn du Schmerzen.«
    Emma versuchte noch, die Bedeutung zu enträtseln, die das Wort Schmerzen für die Schwester haben mochte, als der erwähnte Doktor mit quietschenden Gummisoh len durch die offene Tür trat – kastanienbraune Haare, groß und schlank, gebräunt vom Skifahren im ersten Schnee oder dem letzten Karibikurlaub. In das Rascheln seines gestärkten Kittels gehüllt, marschierte er mit dy namischen Schritten auf Emmas Bett zu, griff nach dem Krankenblatt und warf einen kurzen Blick darauf. »Na, Frau Brahms, da haben wir ja noch mal Glück gehabt!«, sagte er.
    Â»Glück? Ich? «, fragte Emma.
    Â»Mit so einem Blinddarmdurchbruch ist nicht zu spaßen«, sagte der Arzt, als hätte er sie gar nicht gehört. »Gut, dass die Ambulanz Sie rechtzeitig zu uns gebracht hat.« Er bedachte sie mit einem prüfenden Blick. »Erinnern Sie sich noch daran, was passiert ist?«
    Â»Das Gerüst ist unter mir zusamengebrochen«, sagte Emma.
    Â»Genau«, bestätigte der Arzt. »Sie sind mit dem Kopf gegen eine Granitsäule geprallt, und dabei ist es offenbar zu Komplikationen mit Ihrem Appendix gekom-«
    Â»Haben Sie mich operiert?«, fragte Emma.
    Â»Ja, und ich bin froh, dass alles –«
    Â»Haben Sie den Blinddarm herausgenommen?«
    Â»Natürlich, es war höchste Zeit. Er hätte sonst –«
    Â»Gab es dabei irgendwelche Komplikationen?«
    Â»Nein, alles lief glatt und –«
    Â»Die Narkose war nicht etwas zu hoch dosiert?«
    Zum ersten Mal sah der Arzt sie richtig an, Wachsamkeit im Blick. »Warum fragen Sie das?«
    Â»Ich habe Sie gehört«, flüsterte Emma. »Ich habe Sie während der Operation reden gehört.«
    Â»Das müssen Sie geträumt haben.«
    Â»Ich werde Sie verklagen.«
    Â»Was haben Sie gesagt?«, fragte der Arzt. »Ich habe Sie nicht verstanden.«
    Emma flüsterte weiter. »Könnten Sie ein bisschen näher kommen? Ich habe Schmerzen beim Sprechen.«
    Der Arzt hängte das Krankenblatt wieder ans Fußende des Bettgestells und trat neben den Nachttisch.
    Â»Noch näher«, wisperte Emma kaum hörbar.
    Mit einem geduldigen Lächeln beugte der Arzt sich über sie. »So besser?«
    Â»Ein kleines Stückchen noch.«
    Als Emma nur noch den Arm ausstrecken musste, um seinen Kopf berühren zu können, schoss ihre rechte Hand hoch – und verpasste ihm eine klatschende Ohrfeige. Der Schlag war so heftig, dass der Arzt das Gleichgewicht verlor und sich am Bettgestell festhalten musste, um nicht hintenüber zu fallen.
    Â»Mein Blinddarm war kerngesund«, rief sie,

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