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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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aufzustehen.
    Emma versuchte, sich seitlich aus dem Sessel zu lehnen, langsam, nun sogar Millimeter für Millimeter, die Fingerspitzen vorgestreckt wie die der Hand Gottes auf dem Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Ka pelle. Da, der Lippenstift, da, der Kajal, da, der Kugelschreiber, da, die Schlüssel, ein bisschen weiter, nun das Notizbuch mit den Telefonnummern, immerhin, und jetzt nur noch …
    Ein Summton erklang. Das Display des Handys leuchtete auf, und das Gerät rutschte langsam davon, ein Stück, noch ein Stück, in seltsam kriechenden Drehungen. Emma neigte sich so weit vor, wie sie konnte, jetzt nur noch halbe, Fünftel-, Zehntelmillimeter. Und dann stieß das Handy an die Teppichkante. Das war der Moment, in dem sie es berühren konnte.
    Das war allerdings auch der Moment, in dem sie aus dem Sessel fiel.
    Â»Aua!«
    Sie meldete sich mit einem weiteren »Aua!«, das Sera am anderen Ende der Leitung zu der Bemerkung veranlasste: »Ist es gerade ungünstig?«
    Â»Nein. Ja. Was willst du?«
    Â»Nur wissen, ob du was brauchst … Soll ich dir in der Wohnung helfen oder für dich einkaufen?«
    Emma stöhnte und wälzte sich auf den Rücken.
    Â»Was hast du gesagt?«, fragte Sera. »Du klingst so komisch.«
    Â»Ich habe gar nichts gesagt. Ich habe gestöhnt, und ich klinge komisch, weil ich auf dem Boden liege.«
    Â»Was machst du auf dem Boden?«
    Â»Sera – gibt es sonst noch was?«
    Â»Ja«, antwortete Sera, als wäre es ganz selbstverständlich, dass jemand, der auf dem Boden lag, jede Menge Zeit für ein Schwätzchen hatte. »Ich habe noch mal über das nachgedacht, was du mir im Krankenhaus erzählt hast – die Verwechslung, die Operation und dass du dabei beinahe gestorben wärst …«
    Â»Ja?«
    Â»Bist du sicher, dass das alles wirklich passiert ist? Dass es kein Traum war? Ich habe gehört, wenn man unter Narkose steht, hat man oft die merkwürdigsten Halluzinationen. Es kann zu einem Sauerstoffmangel im Gehirn kommen, worauf ein erhöhter Ausstoß an Noradrenalin stattfindet und …«
    Â»Von wem hast du das gehört?«
    Sera schwieg einen Moment. »Das spielt jetzt keine Rolle. Aber vielleicht hast du dir das alles nur einge bildet.«
    Â»Und die frische Wunde in meinem Bauch«, fragte Emma, »halluziniere ich die auch?« Sie versuchte, sich aufzurichten, aber der Schmerz, der ganz und gar keine Einbildung war, sagte: lass es . Sie rollte sich auf die Seite, zog ächzend die Beine an und schaffte es dann, auf die Knie zu kommen.
    Â»Du meine Güte, was war das?«, fragte Sera erschrocken. »Was machst du?«
    Â»Ich putze die Wohnung«, sagte Emma. »Hast du sonst noch was auf dem Herzen?«
    Â»Ich wollte dir außerdem von einem Traum erzählen, den ich heute Nacht hatte. Geht ganz schnell. Es hatte was mit meinem Problem zu tun, den Zehntausendern, du weißt schon.«
    Emma verlagerte ihr Gewicht auf das linke Bein, stemmte den rechten Fuß gegen den Boden und ver suchte aufzustehen, wobei sie mit beiden Armen in der Luft ruderte. Als sie das Handy wieder ans Ohr hielt, hörte sie Sera sagen: »Ich liege also im Bett mit diesem Mann, schlank und drahtig wie Nurejew, und er gibt sich wirklich die größte Mühe, aber umsonst. Mir wird klar, dass ich es wieder nicht bis nach oben schaffen werde. Und weißt du, was dann passiert? Plötzlich kommt eine mächtige Hand aus einer Wolke über mir, packt mich und hilft mir rauf. Auf den Gipfel. Kannst du dir das vorstellen? So eine Hand und ein Arm wie auf diesem Fresko in Rom, du weißt schon.«
    Â»Und die Sixtinische Kapelle spielt dazu halleluja, halleluja «, sagte Emma. »Meines Wissens ist aber der Mount Everest der höchste Berg der Welt, und der hat nur 8 848 Meter. Es gibt keine Zehn tausender.«
    Â»Kann sein«, gab Sera zu. »Aber das, was ich da oben erlebt habe, war so sensationell, dass es sich wie noch mal mindestens zweitausend Meter mehr angefühlt hat. Jedenfalls – als ich aufgewacht bin, ist mir dieser Arzt eingefallen …«
    Â»Welcher Arzt?«
    Â»Na ja, der, du weißt schon, dem du gerade eine geknallt hast, als ich dich im Krankenhaus besucht habe.«
    Â»Was ist mit dem?«
    Sera schwieg einen Moment, dann platzte sie heraus: »Ich habe ihn in meiner Kristallkugel gesehen und …«
    Â»In welcher

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