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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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Kristallkugel?«
    Â»Ich trainiere doch meine Gabe, schon vergessen? Jedenfalls, die Karten haben mir gesagt, dass er eine Rolle in meinem Leben spielen wird. Sie waren da ganz eindeutig. Und deswegen wollte ich dich fragen, ob du was dagegen hättest, wenn ich mich mal mit ihm …«
    Â» Was?!« Emma schnappte schmerzhaft nach Luft. »Mit diesem Mistkerl, dem Schlächter in Grün?! Bist du noch zu retten?! Was findest du denn an dem?«
    Â»Er hat mir leidgetan und …«
    Â»Er hat dir leidgetan?!«
    Â»Außerdem sieht er aus wie Doktor Schiwago.«
    Â»Wohl eher wie Doktor Mengele, würde ich sagen.«
    Â»Wie wer?«
    Â»Ach, vergiss es. Kannst du denn nicht mal einer Versuchung widerstehen?«
    Â»Du glaubst gar nicht, wie vielen Versuchungen ich in letzter Zeit schon widerstanden habe!«
    Â»Wenn du ihnen widerstanden hast, können es keine echten Versuchungen gewesen sein«, sagte Emma.
    Â»Also, darf ich?«
    Â»Wage es ja nicht!«
    Wütend unterbrach Emma die Verbindung und wählte die Nummer der Kanzlei Schill, Bitter & Köstlich. Die Fachanwälte für Schadensersatzrecht hatte sie gleich nach ihrer Entlassung aus der Klinik gegoogelt. Am anderen Ende wurde nach dem ersten Klingelzeichen abgehoben. Sie verlangte Pieter Schill, den Seniorpartner der Kanzlei. Als sie mit ihm verbunden worden war, erklärte sie ihm ihr Anliegen.
    Er hörte ihr zu, eine Viertelstunde lang, und sagte zwischendurch nur: »Verstehe.« Er murmelte wie jemand, der sich beim Telefonieren Notizen macht, und Emma konnte hören, dass er sich bewegte, vielleicht nickte. Schließlich sagte er: »Ich hoffe, Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen. So ein Kunstfehlerprozess kostet viel Zeit und noch mehr Geld.«
    Â»Das ist mir egal!«
    Â»Da gehen oft mehr Jahre ins Land als die Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten hinter Moses hergelaufen sind, und die Honorare und Gebühren schießen in astronomische Höhen – Anwälte, Gerichtskosten, diverse Gutachter … Wenn der Fall dann auch noch durch mehrere Instanzen geht, was er immer tut …«
    Â»Dann gehe ich mit. Wenn es sein muss, auch vierzig Jahre.«
    Â»Haben Sie eine Rechtsschutzversicherung?«
    Â»Ich habe eine Krankenversicherung. Aber die schützt einen offenbar nicht vor Organdiebstahl.«
    Â»Ich muss eine Anzahlung verlangen, das ist so üb lich.«
    Â»Kein Problem«, sagte Emma, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wo sie das Geld auftreiben sollte.
    Â»Die halten zusammen wie Pech und Schwefel, das wissen Sie ja wohl – Ärzte, Kliniken, Sachverständige, Versicherungen, besonders die Chirurgen«, erklärte Schill. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.«
    Â»Stimmt nicht«, widersprach Emma. »Sie stehlen sich vielleicht nicht gegenseitig den Blinddarm, aber was die Augen angeht, sind sie nicht zimperlich.« Sie nickte, l’art pour l’art, denn er konnte sie ja nicht sehen. »Ich bin auf dem Land aufgewachsen, ich weiß das.«
    Der Anwalt schwieg einen Moment. Dann fragte er: »Was ist mit der Gerüstbaufirma?«
    Â»Was soll damit sein?«
    Â»Die haben vielleicht geschlampt – Dübel an den falschen Stellen angebracht, Schrauben vergessen, die Statik nicht richtig berechnet … Oder das Erzbischöfliche Ordinariat? Wir könnten es mit Verletzung der Sorgfaltspflicht versuchen, fürs Erste. Standen Sie vielleicht unter großem seelischen Druck, den man hätte bemerken müssen? Hat man Sie gegen Ihren Willen da hinauf getrieben?«
    Â»Ich bin nicht aus den Wanten der Gorch Fock ge fallen.«
    Der Anwalt seufzte. »Also gut, ich mache den Schriftsatz gleich morgen fertig. Sie hören bald von mir.«
    Emma legte auf, warf das Handy auf den Sessel, schleppte sich zum Bett und setzte sich auf die Bettkante. Sie merkte erst, dass sie weinte, als ihre Lippen salzig schmeckten. Aber vielleicht träumte sie auch, dass sie weinte. Sie erwachte und wischte sich kleine tro ckene Körnchen aus den Augen; nur ihre Wangen waren noch kalt und feucht.

    B eide Hände tief in die Taschen seines schwarzen Kaschmirmantels geschoben, schlenderte der Monsignore am frühen Nachmittag die Promenade entlang, vorbei an der Oper und den teuren Boutiquen zu beiden Seiten, bis er rechter Hand das alte Stadttor erreichte. Dort bog er in die schmale Seitenstraße und näherte

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