Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte
nicht fast ein Wunder?«, sagte Monsignore Wen zel. »Sie haben Baron von Salásy aufgesucht, um einige Ihrer ererbten weltlichen Güter zu veräuÃern, und nun werden Sie selbst zum Sammler sakraler Kunst.«
Der Baron, der offenbar fürchtete, dass die Frage der Echtheit des Objekts in letzter Sekunde doch noch das Geschäft zum Scheitern birngen könnte, drängte sie zum Aufbruch. »Es tut mir leid, Monsignore, Herr Honigfels â aber ich schlieÃe jetzt, ich muss noch â¦Â«
Der Monsignore zwinkerte ihm zu. »Ach ja, Sie wollten ja noch den Abendzug nach Budapest kriegen, nicht wahr?«
Nur wenige Minuten später hatten Murat und er die Madonna wieder hinten im Bus verstaut, und der Monsignore rutschte auf den Beifahrersitz, während Murat hinter ihnen auf der Rückbank Platz nahm.
Emma warf die staubige Decke ab und richtete sich nach Luft schnappend auf. »Murat!«
»Runter!«, befahl der Monsignore.
»Bitte«, sagte Murat, und Emma gehorchte wider strebend.
Julian legte krachend den ersten Gang ein. Der Motor lieà gerade die Fenster in der schmalen Gasse scheppern, als hinter ihnen Baron von Salásy aus der Tür seines Geschäfts stürzte und rief: »Monsignore, Sie haben vergessen, mir die Echtheit des Vermeer zu zertifizieren!«
»Gib Gas, mein Sohn!«
Julian hatte den Bus endlich aus der Parklücke manövriert und trat so heftig auf das Gaspedal, dass die Reifen durchdrehten und der Wagen zur Seite wegrutschte. Emma schüttelte erneut die Decke ab und richtete sich wieder auf, um zu sehen, was vorging. Mit einem Satz schoss der Bus vorwärts, dann würgte Julian den Motor ab.
»Monsignore! Die Echtheit!«
Es gelang Julian, den Bus wieder zu starten, aber jetzt drehte der VW sich um hundertachtzig Grad und blieb schräg zur Fahrbahn stehen. Wenzel schloss die Augen, seine Lippen bewegten sich. »Herr, jetzt weià ich, wie sich das Fegefeuer anfühlt! Nun fahr doch schon!«
Julian gab wieder Gas, nicht ganz so stark diesmal, und Emma spähte über die Lehne der Rückbank aus dem hinteren Fenster.
Das Letzte, was sie sah, bevor der wirbelnde Schnee und die Beschleunigung des Busses drauÃen alles verwischte, war das Gesicht Baron von Salásys, der dem davonknatternden Wagen mit offenem Mund hinterherstarrte. Emma richtete sich weiter auf und winkte ihm so heftig sie konnte. Da endlich, langsam, ganz langsam, schien er zu begreifen, dass ihm gerade eine Kostprobe des Jüngsten Gerichts zuteilgeworden war.
» U nd wie«, fragte Emma, als sie die Muttergottes wieder im Lager ihres Vaters aufgebaut hatten, »sieht der Vergleich jetzt genau aus?«
»Rochus Schilfstengl erhält die Madonna im Tausch gegen die Ming-Vase«, erklärte Murat. »Damit ist sein Ver lust gedeckt. Die Madonna überlässt er danach deinem Vater zur Versteigerung.«
»Alles, was den Schätzwert der Vase â abzüglich eurer Provison â übersteigt, wird deinem Vater als zinsloser Kredit eingeräumt«, sagte Wenzel.
»Und Schilfstengl spielt da mit?«, fragte Emma.
»Was hat er denn für eine Wahl?«, fragte der Monsignore. »Er hätte euch auf Schadensersatz verklagen können, aber davon wäre nur sein Anwalt satt geworden. Die Madonna ist echt, ein prächtiges Stück aus Ignaz Günthers produktivster Schaffensperiode um 1760, für das sich schnell ein Käufer finden wird. Morgen kommt Schilfstengl hierher, um sich selbst ein Bild von dem Objekt zu machen und die Verträge zu unterzeichnen.«
»Aber morgen ist Silvester!«
»Gibt es eine bessere Art, das Jahr abzuschlieÃen, als mit einer Kreditverlängerung?«
»Um wie viel Uhr?«, fragte Emma.
»Um fünf.«
Danach ist Murats Aufgabe erledigt, dachte Emma und spürte auf einmal, wie schwer ihr das Herz wurde. Sie sah ihn an und wünschte sich nichts mehr, als diesen letzten Abend mit ihm zu verbringen. Nein, das stimmte nicht: Sie wünschte sich, es wäre gar nicht der letzte Abend, sondern es gäbe noch mehr Abende, unendlich viele Abende. Und die Tage und Nächte dazu.
» K omm doch noch mit rauf«, bat Emma. »Ich will nur mit dir reden, ganz ehrlich, versprochen!«
Murat sagte nichts. Sein Gesicht wirkte kleiner und zarter als sonst, die Haut zum ZerreiÃen gespannt. Die Lippen waren zusammengepresst, als fürchtete er, sie könnten
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