Der Afghane
den größten Teil seines Entlassungsgeldes hatte er verbraucht, um sich den Traum seines Lebens zu erfüllen, ein Haus auf dem Land zu kaufen und endlich ein Zuhause zu haben. Daher diese Scheune mit ihren vier Hektar Land und einem Feldweg, der zur nächsten Landstraße und weiter zum Dorf führte.
Aber Soldaten sind meist nicht daran gewöhnt, mit Geld umzugehen, und die Kosten für den Ausbau der mittelalterlichen Scheune zu einem Landhaus und behaglichen Heim waren von Firmen, die auf solche Projekte spezialisiert waren, auf atemberaubende Höhen veranschlagt worden. Deshalb hatte er beschlossen, alles selbst zu machen – ganz gleich, wie lange es dauern mochte.
Das Anwesen war idyllisch genug. Vor seinem geistigen Auge sah er das Dach in seiner einstigen Pracht wiederhergestellt. Den unbeschädigten Teil der alten Pfannen würde er behalten und die restlichen bei einer Baustoffhandlung kaufen, die gut erhaltenes Material aus Abbruchhäusern auf Lager hatte. Das Gebälk des Stichbalkendachs war noch so stabil wie an dem Tag, als es aus dem Eichenstamm gehauen worden war, aber die Sparren würden entfernt und mit einer guten, modernen Dämmschicht wieder angebracht werden müssen.
Er malte sich das Wohnzimmer aus, die Küche, das Arbeitszimmer und die Diele, die er dort anlegen würde, wo jetzt der Staub auf den letzten alten Heuballen lag. Für die Elektro- und Wasserinstallation würde er Fachleute brauchen, das war ihm klar, aber er hatte sich bereits am Southampton Technical College zu Abendkursen über Maurer-, Tischler- und Glaserarbeiten angemeldet.
Eines Tages würde es hier eine mit Steinplatten ausgelegte Terrasse und einen Küchengarten geben; aus dem Feldweg würde eine kiesbedeckte Zufahrt geworden sein, und im alten Obstgarten würden Schafe grasen. Nachts, wenn er auf der Koppel campierte – die Natur hatte ihm noch einmal eine milde, spätsommerliche Wärmeperiode gegönnt –, ging er die Zahlen durch und rechnete sich aus, dass sein knappes Budget mit Geduld und viel harter Arbeit für all das ausreichen würde.
Er war vierundvierzig und hatte olivbraune Haut, schwarzes Haar und schwarze Augen, und seine schlanke Erscheinung wirkte hart und muskulös. Und er hatte genug. Genug von Wüsten und Dschungeln, genug von Malaria und Blutegeln, genug von eisiger Kälte und durchfrorenen Nächten, genug von verdorbenem Essen und schmerzenden Gliedern. Er würde sich einen Job in der Nähe suchen, einen Labrador oder zwei Jack Russels anschaffen und vielleicht sogar eine Frau finden, die dieses Leben mit ihm teilte.
Der Mann auf dem Dach löste noch einmal zwölf Pfannen ab, behielt die zehn unversehrten und warf die Scherben der zerbrochenen hinunter, und in Islamabad blinkte das rote Lämpchen. Viele glauben, bei einer Prepaid-Handykarte fallen keine weiteren Rechnungen an. Das stimmt für den Käufer und Nutzer, aber nicht für den Service-Provider. Wenn das Handy auch außerhalb des Sendebereichs, in dem es gekauft wurde, benutzt wird, kommt es zu weiteren Abrechnungen, nämlich zwischen den verschiedenen Mobilfunkbetreibern, und die werden von deren Computern erledigt.
Als Abdelahis Anruf von seinem Bruder in Quetta entgegengenommen wurde, nutzte er Sendezeit von der Funkantenne außerhalb Peschawars. Diese Funkantenne gehört Paktel. Also machte der Computer bei Paktel sich auf die Suche nach dem Verkäufer der SIM-Karte in England, um ihm auf elektronischem Wege mitzuteilen: »Einer deiner Kunden verbraucht meine Zeit und Kapazität, und dafür schuldest du mir etwas.« Aber das pakistanische Counter Terrorist Centre verlangte schon seit Jahren, dass Paktel und sein Konkurrent Mobitel sämtliche in ihren Netzen ein- und ausgehenden Telefonate an ihre Abhörabteilung weiterleiteten. Und von den Briten alarmiert, hatte das CTC Abhörcomputer mit einer britischen Software ausgestattet, die Abfangroutinen für bestimmte Nummern enthielt. Eine davon war plötzlich aktiv geworden.
Der junge, Paschto sprechende pakistanische Army Sergeant, der das Schaltpult überwachte, drückte auf eine Taste, und sein vorgesetzter Offizier meldete sich, hörte ein paar Sekunden lang zu und fragte: »Was sagt er?«
Der Sergeant lauschte kurz. »Etwas über seine Mutter. Anscheinend spricht er mit seinem Bruder.«
»Von wo?«
Ein kurzer Blick auf den Monitor. »Über den Sender Peschawar.«
Weitere Fragen an den Sergeant waren nicht nötig. Das komplette Telefonat wurde automatisch für die spätere
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