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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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die Sowjets etwas Ähnliches wie die britische Kolonne, die auf dem selbstmörderischen Marsch von Kabul nach Jalalabad in Stücke gehauen worden war.
    Auf den Straßen waren die sowjetischen Soldaten nie vor einem Hinterhalt sicher, und die Berge waren nur auf dem Luftweg zu erreichen. Seit September 1986 verfügten die Mudschaheddin über amerikanische Stinger-Raketen, wodurch sich die Sowjets gezwungen sahen, höher zu fliegen – zu hoch, um ihre Feuerkraft noch treffsicher einzusetzen –, wenn sie nicht getroffen werden wollten. Dennoch nahmen die sowjetischen Verluste immer weiter zu, und Verwundungen und Erkrankungen reduzierten ihre Zahlen weiter. Selbst in einer totalitär regierten Gesellschaft wie der UdSSR musste es mit der Moral steil bergab gehen.
    Es war ein wilder, grausamer Krieg. Kaum jemals wurden Gefangene gemacht; wer schnell starb, gehörte zu den Glücklichen. Die Bergstämme hassten vor allem die russischen Piloten. Wenn einer ihnen lebend in die Hände fiel, hängten sie ihn in die Sonne und schnitten ihm vorsichtig den Bauch auf, sodass die Gedärme heraushingen und in der Sonnenhitze langsam brieten, bis der Tod Erlösung brachte. Oder sie übergaben ihn den Frauen und ihren Häutemessern.
    Die Sowjets reagierten darauf, indem sie Bomben, Raketen und Maschinengewehrfeuer auf alles richteten, was sich bewegte – auf Männer, Frauen, Kinder und Tiere. Aus der Luft warfen sie ungezählte Millionen von Landminen über den Bergen ab; der Erfolg ist eine Nation auf Krücken und Beinprothesen. Bevor der Krieg zu Ende ging, war eine Million Afghanen tot und eine weitere Million verkrüppelt, und es gab fünf Millionen Flüchtlinge.
    Izmat Khan hatte im Flüchtlingscamp alles über Waffen gelernt, wobei ihm am besten natürlich die Kalaschnikow gefiel – das berüchtigte AK-47. Es war der Höhepunkt der Ironie, dass diese sowjetische Waffe, das Lieblingssturmgewehr aller Widerstands- und Terrorgruppen der Welt, jetzt auf die Russen selbst gerichtet wurde. Aber die Amerikaner lieferten diese Waffe aus einem bestimmten Grund: Jeder Afghane konnte seinen Munitionsvorrat aus dem Gepäck eines gefallenen Russen auffüllen, deshalb brauchte man keine passende Munition über die Berge zu transportieren.
    Die Waffe der Wahl neben dem Sturmgewehr war die raketengetriebene Granate, die RPG – eine Art Panzerfaust, leicht zu bedienen, leicht zu laden und auf kurze bis mittlere Reichweite absolut tödlich. Auch sie wurde vom Westen geliefert.
    Izmat Khan war groß für einen Fünfzehnjährigen. Er bemühte sich sehr, den Flaum an seinem Kinn sprießen zu lassen, und die Berge machten ihn härter, als er es je gewesen war. Man hat gesehen, wie die Paschtunen aus dem Gebirge sich wie wilde Ziegen in ihrem Gelände bewegten, scheinbar immun gegen Erschöpfung und mühelos atmend, wo andere nach Luft rangen.
    Er war seit einem Jahr wieder zu Hause, als sein Vater ihn zu sich rief. Ein Fremder war bei ihm, mit sonnenverbranntem Gesicht und schwarzem Bart. Er trug ein grauwollenes shalwar kameez, robuste Wanderstiefel und eine ärmellose Jacke. Auf dem Boden hinter ihm stand der größte Rucksack, den der Junge je gesehen hatte, daneben zwei in Schaffelle gewickelte Rohre. Auf dem Kopf trug er einen paschtunischen Turban.
    »Dieser Mann ist unser Gast und unser Freund«, sagte Nuri Khan. »Er ist gekommen, um uns zu helfen und mit uns zu kämpfen. Er muss seine Rohre zu Schah Massud in den Pandschir bringen, und du wirst ihn hinführen.«
     

FÜNF
    Der junge Paschtune starrte den Fremden an. Anscheinend hatte der nicht verstanden, was Nuri Khan gesagt hatte.
    »Ist er Afghane?«, fragte Izmat.
    »Nein, Anglies.«
    Izmat Khan war sprachlos. Das war der alte Feind. Und mehr noch, er war das, was der Imam in der madrasa mit unnachgiebiger Gehässigkeit verflucht hatte. Er musste ein kafir sein, ein Ungläubiger, ein Nasrani, ein Christ, dem es bestimmt war, in Ewigkeit in der Hölle zu brennen. Und diesen Mann sollte er über hundert Meilen durch die Berge in ein großes Tal im Norden begleiten? Tage und Nächte in seiner Gesellschaft verbringen? Aber sein Vater war ein guter Mann, ein guter Muslim, und er nannte ihn seinen Freund. Wie konnte das sein?
    Der Engländer klopfte mit den Zeigefingern leicht an seine Brust über dem Herzen.
    »Salaam aleikhem, Izmat Khan«, sagte er. Der Vater sprach kein Arabisch, obwohl weiter unten in den Bergen inzwischen viele arabische Freiwillige waren. Die Araber blieben unter

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