Der Afghane
Wie in den Zeiten des britischen Empires kam man mit ein paar Goldstücken ziemlich weit. Ein Aphorismus besagt: Die Loyalität eines Afghanen kann man nicht kaufen. Aber man kann sie jederzeit mieten.
»Entscheidend in jeder Phase dieses Einsatzes, Captain«, sagte man ihm im SIS-Hauptquartier, das sich damals im Century House in der Nähe von Elephant and Castle befand, »ist, dass wir ihn dementieren können. Deshalb müssen Sie – reine Formsache – aus der Army ausscheiden. Sobald Sie zurückkommen« – sie waren so freundlich, nicht »falls« zu sagen – »werden Sie selbstverständlich in vollem Umfang wieder eingesetzt.«
Martin wusste sehr wohl, dass es innerhalb des SAS bereits eine ultrageheime antirevolutionäre Staffel gab, deren Aufgabe darin bestand, den kommunistischen Regimen auf der ganzen Welt möglichst große Unannehmlichkeiten zu bereiten. Er fragte danach.
»Das hier ist noch geheimer«, sagte der Geheimdienstmann. »Wir nennen diese Einheit ›Einhorn‹, weil es sie nicht gibt. Sie hat nie mehr als zwölf Mann, und im Augenblick sind es nur vier. Wir brauchen jemanden, der sich über den Khyberpass nach Afghanistan einschleicht, sich dort einen Führer sucht und nach Norden ins Pandschirtal bringen lässt, wo Schah Massud operiert.«
»Und ihm Geschenke überbringt?«, fragte Martin. Sein glatt-gesichtiges Gegenüber machte eine hilflose Geste.
»Nur symbolische, fürchte ich. Was ein einzelner Mann so tragen kann. Aber später könnten wir vielleicht Maultierkarawanen einsetzen und sehr viel mehr liefern, wenn Massud seine eigenen Führer nach Süden an die Grenze schickt. Jetzt geht es um einen ersten Kontakt, verstehen Sie?«
»Und was für ein Geschenk soll es sein?«
»Schnupftabak. Er mag unseren Schnupftabak. Ach ja – und zwei Blowpipe-Boden-Luft-Raketen mit Startzylindern. Die Luftangriffe machen ihm eine Menge Probleme. Sie müssten seinen Leuten beibringen, wie man sie benutzt. Ich schätze, Sie dürften von diesem Herbst an sechs Monate weg sein. Was halten Sie davon?«
Die sowjetische Invasion war noch kein halbes Jahr alt, als schon klar war, dass die Afghanen eines nicht tun würden, weil sie es noch nie getan hatten: Sie würden sich nicht vereinen. Nach wochenlangen Diskussionen in Peschawar und Islamabad, bei denen das pakistanische Militär darauf bestand, die amerikanischen Hilfsgüter und Waffen ausschließlich an die in Pakistan akkreditierten Widerstandsgruppen zu verteilen, reduzierte sich die Zahl der rivalisierenden Gruppen auf sieben. Jede hatte einen politischen und einen militärischen Führer. Man nannte sie die »Peschawar Seven«.
Nur eine dieser Widerstandsgruppen bestand nicht aus Paschtunen: Professor Rabbani und sein charismatischer Warlord, Ahmed Schah Massud. Beide waren Tadschiken aus dem hohen Norden. Drei der anderen sechs hatten bald den Spitznamen »Gucci-Kommandanten«, denn sie betraten so gut wie nie das besetzte Afghanistan, sondern hielten sich lieber in westlicher Kleidung im sicheren Ausland auf.
Zwei der übrigen drei, Sayyaf und Hekmatjar, waren fanatische Anhänger der ultraislamischen Muslimbruderschaft. Hekmatjar war so grausam und rachsüchtig, dass er am Ende der sowjetischen Besatzungszeit mehr Afghanen hatte hinrichten lassen, als er Russen getötet hatte.
Die Kontrolle über die Stämme in der Provinz Nangarhar, wo Izmat Khan geboren war, hatte der Mullah Maulvi Yunis Khalis. Er war Islamgelehrter und Prediger, aber ein Funkeln in seinem Blick verriet eine Güte, die im Gegensatz zu Hekmatjars Grausamkeit stand. Hekmatjar hasste ihn.
Obwohl er mit über sechzig Jahren der älteste der sieben Führer war, unternahm Yunis Khalis im Laufe der nächsten zehn Jahre immer wieder Vorstöße ins besetzte Afghanistan, um seine Leute persönlich zu führen. Wenn er nicht dort war, fungierte Abdul Haq als sein General.
1980 war der Krieg auch in die Hochtäler der Spin Ghar vorgedrungen. Die Sowjets marschierten durch Jalalabad am Fuße der Berge, und ihre Luftwaffe flog Strafexpeditionen gegen die Bergdörfer. Nuri Khan hatte Yunis Khalis Treue geschworen und dafür das Recht erhalten, seine eigene lashkar, seine Miliz, zu gründen.
Einen großen Teil seines Herdenbesitzes konnte er in den Höhlensystemen in Sicherheit bringen, das die Weißen Berge durchzog, und bei Luftangriffen konnten auch seine Leute dort Schutz suchen. Aber schließlich entschied er, es sei Zeit, dass die Frauen und Kinder sich über die Grenze
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