Der Afghane
brauchte sechs Stunden, um das schäbige Städtchen Kudat zu passieren und die Nordspitze von Borneo bei Sabah zu umrunden. Erst dann würde er auf Südostkurs gehen, in Richtung Sulu-Archipel.
Durch die tiefe Fahrrinne zwischen Tawitawi und Jolo würde er zwischen diesen dschungelbewachsenen Koralleninseln hindurchfahren. Südlich der Inseln hätte er dann freie Fahrt zur Celebes-See und nach Australien.
Seine Abreise aus Brunei war beobachtet und per Handy weitergemeldet worden. Wenn der Anruf abgehört worden wäre, hätte man erfahren, dass ein kranker Onkel auf dem Wege der Genesung sei und in zwölf Tagen aus dem Krankenhaus kommen werde. Das bedeutete: zwölf Stunden bis zur Aufbringung.
Der Anruf wurde auf einem Flüsschen auf der Insel Jolo entgegengenommen, und den Angerufenen hätte Mr. Alex Siebart in Crutched Friars in London wiedererkannt. Es war Mr. Lampong, der jetzt nicht mehr so tat, als sei er ein Geschäftsmann aus Sumatra.
Die zwölf Mann, die er in der samtigen Tropennacht unter seinem Kommando versammelt hatte, waren Strauchdiebe, aber sie wurden gut bezahlt, und sie würden gehorchen. Sie waren nicht nur Kriminelle, sondern auch muslimische Extremisten. Die Abu-Sayyaf-Bewegung auf den südlichen Philippinen, deren äußerste Halbinsel nur wenige Meilen von Indonesien entfernt in die Sulu-See ragt, steht in dem Ruf, nicht nur aus religiösen Extremisten, sondern auch aus Mietkillern zu bestehen. Das Angebot, das Mr. Lampong gemacht hatte, ermöglichte es ihnen, in beiden Eigenschaften aufzutreten.
Ihre beiden Schnellboote stachen im Morgengrauen in See, gingen zwischen den Inseln in Stellung und warteten. Nach einer Stunde kam die Java Star auf sie zu, um aus der Sulu- in die Celebes-See zu fahren. Sie zu kapern war eine einfache Aufgabe, und die Gangster waren darin geübt.
Kapitän Herrmann hatte in der Nacht das Steuer übernommen, und als über dem Pazifik zu seiner Linken der Morgen heraufdämmerte, übergab er es an seinen indonesischen Ersten Offizier und ging unter Deck. Die Besatzung, zehn Laskaren, lag ebenfalls in ihren Kojen im Vorschiff.
Das Erste, was der indonesische Offizier sah, waren zwei Schnellboote, die achtern herangejagt kamen, eins auf jeder Seite. Dunkle, barfüßige, agile Männer sprangen mühelos vom Schnellboot auf das Deck des Frachters und rannten auf den Brückenaufbau zu, wo der Offizier stand. Er hatte gerade noch Zeit, auf den Knopf zu drücken, der in der Kabine seines Kapitäns den Alarmsummer auslösen würde, bevor die Männer auf die Brücke gestürmt kamen. Dann hatte er ein Messer an der Kehle, und eine Stimme schrie: »Capitán, Capitán …«
Aber das war nicht nötig. Verschlafen kam Knut Herrmann herauf, um nachzusehen, was los war. Er und Mr. Lampong erschienen gleichzeitig auf der Brücke. Lampong hielt eine Mini-Uzi in den Händen. Der Norweger versuchte gar nicht erst, Widerstand zu leisten. Die Piraten und seine Reederei in Freemantle würden sich auf ein Lösegeld einigen.
»Captain Herrmann …«
Das Schwein kannte seinen Namen. Die Sache war vorbereitet.
»Bitte fragen Sie Ihren Offizier, ob er womöglich in den letzten fünf Minuten irgendeinen Funkspruch abgesetzt hat.«
Er brauchte nicht zu fragen. Lampong sprach Englisch. In dieser Sprache verständigte Herrmann sich mit seinem Ersten Offizier. Der Offizier schrie, er habe das Funkgerät nicht einmal angerührt.
»Ausgezeichnet«, sagte Lampong und erteilte eine Reihe von Befehlen im lokalen Dialekt. Den verstand der Offizier und öffnete den Mund, um wieder zu schreien. Der Norweger verstand kein Wort, aber er verstand alles, als der Pirat, der seinen Ersten Offizier festhielt, den Kopf des Seemanns nach hinten riss und ihm mit einem einzigen Schnitt die Kehle aufschlitzte. Der Offizier strampelte, zuckte, sackte zusammen und starb. Kapitän Herrmann war in vierzig Jahren auf dem Meer nicht seekrank gewesen, doch jetzt lehnte er sich an das Steuer und übergab sich.
»Gleich zwei Schweinereien, die aufgewischt werden müssen«, stellte Lampong fest. »So, Captain – für jede Minute, die Sie sich weigern, meinen Befehlen zu folgen, geschieht das Gleiche mit einem Ihrer Männer. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Der Norweger wurde in die winzige Funkkabine hinter der Brücke geführt, wo er Kanal sechzehn einstellte, die internationale Notruf-Frequenz. Lampong legte ihm ein beschriebenes Blatt vor.
»Das hier werden Sie nicht einfach mit ruhiger Stimme verlesen,
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