Der Afghane
anderen Überlebenden hatten in ihren Verhören die Geschichte von der ausgelöschten Familie erzählt.
Al-Khattab machte eine Pause und schaute seinen Gefangenen an. Noch immer hatte er ernste Vorbehalte, aber eines war inzwischen sicher: Der Mann war wirklich Izmat Khan. Zweifel hatte er noch in der zweiten Frage: War er von den Amerikanern »umgedreht« worden?
»Sie sagen also, Sie haben eine Art Privatkrieg erklärt? Einen ganz persönlichen Dschihad? Und Sie haben darin nie nachgelassen? Aber was haben Sie tatsächlich unternommen?«
»Ich habe gegen die Nordallianz gekämpft, gegen die Verbündeten der Amerikaner.«
»Aber erst ab Oktober/November 2001«, sagte al-Khattab.
»Die Amerikaner kamen erst im Herbst 2001«, erwiderte Martin.
»Das stimmt. Sie haben also für Afghanistan gekämpft … und verloren. Und jetzt wollen Sie für Allah kämpfen?«
Martin nickte. »Wie der Scheich es vorausgesagt hat.«
Zum ersten Mal ließ Dr. al-Khattab seine Weltgewandtheit im Stich. Eine volle halbe Minute lang starrte er das schwarzbärtige Gesicht seines Gegenübers an, mit offenem Mund und bewegungslos erhobenem Füllfederhalter. Endlich flüsterte er: »Sie haben … den Scheich tatsächlich kennen gelernt?«
In all den Wochen im Lager hatte al-Khattab Osama bin Laden niemals zu Gesicht bekommen. Einmal war ein Toyota Land Cruiser mit schwarz getönten Scheiben vorbeigefahren, aber er hatte nicht angehalten. Er hätte sich buchstäblich mit einem Metzgerbeil die linke Hand abgehackt, wenn er dafür die Gelegenheit bekommen hätte, den Mann, den er mehr als jeden anderen auf der Welt verehrte, zu sehen oder gar mit ihm zu sprechen.
»Erzählen Sie mir diese Episode von Anfang an, und beschreiben Sie haargenau, was passiert ist. Lassen Sie nichts aus.«
Martin erzählte. Er berichtete, wie er als Teenager, frisch aus der madrasa bei Peschawar, in der lashkar seines Vaters gekämpft hatte. Wie er mit anderen auf Patrouille gewesen und auf einem Berghang überrascht worden war, wo nur ein paar Felsen Deckung geboten hatten.
Einen britischen Offizier erwähnte er nicht, und er sagte auch nichts von einer Blowpipe-Rakete und vom Abschuss des Kampfhubschraubers. Er sprach nur von dem donnernden Maschinengewehr und von den Granat- und Steinsplittern, die umhergeflogen waren, bis dem Hubschrauber – Allah sei ewiger Dank – die Munition ausgegangen und er weggeflogen war.
Er schilderte, dass er einen Schlag gegen den Oberschenkel gespürt habe, wie von einer Faust oder einem Hammer, und wie seine Kameraden ihn von Tal zu Tal getragen hatten, bis sie einen Mann mit einem Maultier gefunden hatten.
Er berichtete, wie man ihn in einen Höhlenkomplex bei Jaji gebracht und den Saudis übergeben hatte, die dort lebten und arbeiteten.
»Aber der Scheich – erzählen Sie mir vom Scheich«, drängte al-Khattab. Martin erzählte. Der Kuwaiti schrieb Wort für Wort mit.
»Wiederholen Sie das bitte noch einmal.«
»Er sagte zu mir: ›Der Tag wird kommen, da Afghanistan dich nicht mehr brauchen wird. Aber der allbarmherzige Allah wird einen Kämpfer wie dich immer brauchen. ‹«
»Und dann?«
»Wechselte er den Verband.«
»Der Scheich hat das getan?«
»Nein, der Arzt, der bei ihm war. Ein Ägypter.«
Dr. al-Khattab lehnte sich zurück und atmete tief aus. Natürlich, der Arzt, Aiman al-Sawahiri, Bin Ladens Gefährte und Vertrauter, der Mann, der den islamischen Dschihad aus Ägypten zum Scheich gebracht und mit ihm zusammen al-Qaida gegründet hatte. Al-Khattab ordnete seine Papiere.
»Ich muss Sie noch einmal verlassen. Es wird eine Woche dauern, vielleicht länger. Sie werden so lange hierbleiben müssen. Angekettet, fürchte ich. Sie haben zu viel gesehen, Sie wissen zu viel. Aber wenn Sie wirklich ein Wahrer Gläubiger und wenn Sie tatsächlich der Afghane sind, dann werden Sie sich uns als geachteter Rekrut anschließen dürfen. Wenn nicht …«
Martin war wieder in seiner Zelle, als der Kuwaiti ging. Diesmal kehrte al-Khattab nicht geradewegs nach London zurück. Er fuhr ins Hilton und schrieb einen Tag und eine Nacht lang ununterbrochen und gewissenhaft. Als er fertig war, tätigte er mehrere Anrufe auf einem neuen, blütenreinen Handy, das er gleich danach in den Tiefwasserhafen warf. Niemand hörte diese Gespräche ab, aber was er sagte, hätte auch niemandem etwas verraten. Dr. al-Khattab war immer noch ein freier Mann, weil er sehr vorsichtig war.
Bei diesen Telefonaten vereinbarte er ein Treffen
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