Der afrikanische Spiegel
Mund.
Die hellhäutigen Männer waren, wie Imaoma, große Jäger. Doch Imaoma jagte mit Speeren und sie mit Netzen. Imaoma jagte Tiere, damit das ganze Dorf zu essen hatte. Doch das Netz dieser Jäger fiel über Atima Imaoma. Über ihr Leben, über ihren verschmierten Mund.
Die Kleine glaubte, dass es sich um einen Regen handelte, der anders war als jeder, den sie kannte. Sie wollte die Arme nach ihrer Mutter ausstrecken, verfing sich aber nur noch mehr in den Stricken.
Tränen traten in ihre wunderschönen schwarzen Augen, die so groß waren wie die Löcher des Fangnetzes.
Atima, die Mutter, kämpfte mit aller Kraft gegen die Jäger und schrie so laut, als hätte sie sieben Kehlen. Die zierliche junge Frau hatte jedoch keine Chance gegen die Männer.
Als sie das begriff, löste sie einen Lederbeutel von ihrem Gürtel, ging auf einen der Jäger zu und flehte ihn in ihrer Sprache an.
Flehende Bitten versteht man in jeder Sprache der Welt. Und in fast allen Herzen gibt es noch offene Fenster.
Der Mann, der das Sagen hatte, verstand, worum Atima ihn bat. Er nahm den Lederbeutel und sah hinein. Darin war nur ein kleiner Spiegel.
„Willst du ihn deinem Kind geben?“, fragte er Atima.
Sie blickte ihn hoffnungsvoll an.
Da schob der Mann seine großen Hände unter dem Netz hindurch und hängte Atima Imaoma den Talisman um den Hals. Doch damit erschöpfte sich seine Freundlichkeit.
Atima Imaoma verschwand für immer.
Das Schiff, auf das sie zusammen mit Hunderten weiterer Sklaven gebracht wurde, fuhr über das weite Meer in ein Land, in dem Menschen Menschen kauften.
„Schauen Sie, wie stark dieser Junge ist! Und seine aufrechte Haltung!“
„Hier, sehen Sie! Die Zähne dieses Mädchens sagen alles! Ein gesundes, kräftiges Kind zu einem guten Preis!“
Das Ehepaar Fontezo y Cabrera schritt über den Sklavenmarkt. An jenem Tag hatten die beiden keine Kaufabsichten. Sie waren nur hingegangen, um sich umzuschauen und umzuhören und sich zu den jüngsten Geschehnissen zu äußern. Sie waren nämlich Leute von Rang und Namen, vor denen die Stadt nichts verheimlichen konnte.
„Schau dir diese Kleine an!“, rief Señora Fontezo y Cabrera aus.
Sie hielt ihren Mann am Arm fest, damit er stehen blieb. Dann steuerte sie schnurstracks auf eines der Mädchen zu, die zum Verkauf angeboten wurden, und lächelte es an.
Atima Imaoma blickte sie ernst an, aber ohne Angst oder Zorn.
„Du willst sie doch nicht kaufen.“ Señor Fontezo y Cabrera trat schnell zu seiner Frau. „Das muss jetzt nicht sein.“
„Nicht unbedingt“, räumte sie ein. „Aber sieh dir nur ihre Augen an!“
„Meine Liebe, ich habe schon gesagt, dass wir zurzeit niemanden brauchen.“
Señora Fontezo y Cabrera war anderer Meinung und äußerte sie überschwänglich.
„Natürlich könnten wir das Mädchen gebrauchen! Es dürfte so alt sein wie unsere Raquel. Es könnte ihre persönliche Zofe werden, meinst du nicht?“
Señor Fontezo y Cabrera musste zugeben, dass diese kleine Afrikanerin etwas Besonderes hatte.
„Was hast du da?“, fragte er sie und deutete auf den Beutel, der ihr um den Hals hing.
Atima Imaoma verstand zwar kein Wort, aber die Geste schon. Schützend legte sie beide Hände auf das Andenken an ihre Mutter, ohne zu wissen, dass sie auf diese Weise die Zuneigung ihres zukünftigen Herrn gewann.
„Sie hat Charakter“, sagte Señor Fontezo y Cabrera. Der Mut der Kleinen gefiel ihm, so wie es ihm gefiel, wenn seine wertvollen Jagdhundwelpen die Zähne zeigten.
Und da ihm der Preis, der für das Mädchen verlangt wurde, vernünftig erschien, beschloss er, es mitzunehmen.
Beim Kauf eines Sklaven war es erforderlich, ihm einen Namen zu geben, damit er in die Besitzurkunde eingetragen werden konnte.
„Wir nennen si e …Wie sollen wir sie nennen?“
Von all den Kindern, die zum Verkauf standen, war dieses Mädchen das einzige, das keinen Laut von sich gab.
Da fiel Señor Fontezo y Cabrera ein passender Name ein.
„Wir nennen sie Silencio, weil sie so still ist.“
Man könnte durchaus sagen, dass Silencio Glück hatte. Das Ehepaar Fontezo y Cabrera hatte nur eine Tochter. Und Silencio sollte ihr nun als Zofe dienen.
Silencio wurde freundlich aufgenommen. Sie erhielt gutes Essen, gute Kleidung und wurde gut behandelt. Sie verbrachte fast die ganze Zeit mit Raquel, die ihr ein paar ausgediente Spielsachen überließ und ihre Süßigkeiten mit ihr teilte. Ab und zu, wenn Raquel Bauchschmerzen oder eine Erkältung
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