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Der afrikanische Spiegel

Der afrikanische Spiegel

Titel: Der afrikanische Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liliana Bodoc
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Jahre alt bin und meinen Namen selbst wählen kann.“
    „Hast du das schon getan?“
    Die Sklavin nickte lächelnd.
    „Und welchen Namen hast du dir ausgesucht? Aurelia?“
    „Nein.“
    „Josefina, Alma, Anita?“
    „Nein.“
    „Magdalena?“
    „Nein.“
    „Sag schon, welchen Namen hast du dir gegeben? Esther?“
    „Nein, den auch nicht.“
    „Welchen dann?“
    „Atima Imaoma.“
    Raquel stutzte und fragte: „Was hast du gesagt?“
    „Atima Imaoma“, erwiderte die Sklavin.
    „Wie bist du denn auf diesen seltsamen Namen gekommen?“
    „Ich bin nicht selbst darauf gekommen. Der Spiegel hat ihn mir gesagt.“
    Raquel schüttelte besorgt den Kopf, wie es ihre Mutter manchmal tat.
    „Sag nicht solche Sachen. Deine neuen Herren würden dich dafür auspeitschen, weil es nach Negerzauber klingt. Verstehst du?“
    Ta m …
    Tam, tam.
    Ta m …
    Tam, tam.
    Die neuen Herren trafen am Vormittag ein. Sie hatten es eilig und ließen Raquel und Atima Imaoma keine Zeit, sich in Ruhe zu verabschieden oder gar zu weinen. Die beiden konnten sich nur noch ein letztes Mal umarmen.
    Dabei gab Raquel ihrer Freundin ein Versprechen. „Ich werde dich suchen. Eines Tages werde ich dich suchen gehen.“
    „Hü!“ Der Pferdekarren fuhr los in Richtung Mendoza.
    Raquel rannte ihm noch ein Stück hinterher und rief dabei mehrmals einen Gruß, den nur die beiden Mädchen verstanden.
    „ Adiós , Atima Imaoma!“
    Adiós , antworteten die Trommeln.

Die Dinge bewegen …

    Die Dinge bewegen sich mit den Menschen. Sie reisen, gehen verloren, werden verkauft und gekauft. Sie überqueren das Meer. Oder sie liegen lange Zeit vergessen auf dem Boden einer Truhe.
    Das gilt auch für Spiegel.
    Einem kleinen Ebenholzspiegel kann vieles widerfahren. Irgendwann wurde er soga r – warum auch nicht ? – zu einer Spende für die Befreiungsarmee.
    Für die heilige Sache der Freiheit wurden gespendet:
    – 2 Goldringe
    – 5 Einsteckkämme aus Schildpatt
    – 1 7 Pferde
    – 1 Messer mit Silberheft
    – 1 1 Ponchos
    – 9 Decken
    – 1 Spiegel mit Ebenholzrahmen
    Wozu General San Martín den Spiegel wohl gebraucht hatte?
    Jahre später geschah etwas Seltsames, was mit dem Spiegel zu tun hatte. Damals reiste der kleine Spiegel mit dem Ebenholzrahmen erneut übers Meer, diesmal zum europäischen Kontinent.

KAPITEL 2
    Spanien, Provinz Valencia
Oktober 1818
    „Überschreite nie die Schwelle des Hauses, Dorel, nicht einmal mit den Augen. Draußen muss man stets mit dem Schlimmsten rechnen, und man kann nie vorhersehen, wo es sich verbirgt! Besonders in der Abenddämmerung! Wir wissen ja, welche Gefahren im Dunkeln lauern. Es ist gut möglich, dass die Mauren umherstreifen, auf der Jagd nach Köpfen, die sie aushöhlen, um sie als Kochtöpfe zu verwenden. Ich habe dir bereits erzählt, dass sie das machen, nicht wahr?“
    „Abe r …“
    „Hast du ‚aber‘ gesagt? Zweifelst du etwa an den Worten von Maria Petra? Da gibt es kein Aber! Denk immer daran, dass die Gefahren hier so zahlreich sind wie die Fliegen. Apropos Fliegen, habe ich mit dir schon über die neuen Fliegen gesprochen, die ihre Giftstachel in die Gesichter von Schlafenden stechen? Und am nächsten Morgen erwachen die armen Opfer mit einem blauen Nesselausschlag. Und wehe ihnen, wenn sie sich kratzen! Dann dringt das Gift der Fliegen in ihren Körper ein und gelangt auf direktem Weg zum Herzen. Und dort bildet sic h – wie soll ich das jetzt nur beschreiben ? – ein Nest, eine Kolonie, ein ganzes Land voller Fliege n …“
    Dorel zwang sich weiterzuessen und nickte zustimmen d – wie immer.
    Maria Petra, die Besitzerin des größten Antiquitätengeschäfts von Valencia, hatte nur sehr wenige Haare. Und sehr viele Hirngespinste.
    Aus diesem Grund hielt sie die Fensterläden immer geschlossen. Offen blieb nur das Schaufenster, in dem sich alle möglichen Dinge türmten, die Maria Petra für wenig Geld gekauft hatte und später mit gutem Gewinn verkaufen würde.
    Ihr düsteres Haus hatte die triste Farbe eines Ortes, an den kein Sonnenlicht dringt. Und es hatte seine eigene Musik, die aus dem Quietschen der Türen, dem Knarren der Holzdielen und dem Brodeln eines Topfes bestand, in dem immer irgendein Kräutertee kochte.
    Maria Petra verließ ihr Haus bloß einmal im Monat, um einen Besuch zu machen. Sie lief um dreieinhalb Häuserblocks, stieg neun Stufen hinauf und klopfte an die Tür ihrer Tante, bei der sie genau eine Stunde lang blieb. Danach kehrte sie auf demselben Weg

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