der Agentenschreck
Vasil-Levski-Straße war bereits geschlossen, aber eine Frau arbeitete noch unter einer grellen Lampe hinter dem Pult. Mrs. Pollifax klopfte. Dann rüttelte sie an der Tür. »Ist der Mann da, der englisch spricht?« fragte sie, als die Frau ihr öffnete.
»Englis?« Die Frau zuckte die Achseln, ging nach hinten und brüllte. Sofort tauchte das Gesicht von Mrs. Pollifax Bekanntem auf. Bei ihrem Anblick zog er erstaunt die Augenbrauen hoch und kam unwillig auf sie zu. »Ja?« fragte er knapp.
»Die Weste«, sagte Mrs. Pollifax. »Ich habe eine braune Lammfellweste bei Ihnen bestellt.«
Sie suchte in ihrer Tasche nach dem Zettel.
»Ich weiß, ich weiß.«
Trotzdem gab Mrs. Pollifax ihm den Bestellschein. »Dieser hier«, sagte sie, stellte sich neben ihn und zeigte auf die Bestellung. »Ich brauche sie doch früher, als ich dachte.«
Auf den Schein hatte sie in Blockschrift geschrieben: MUSS TSANKO SOFORT
SPRECHEN. DRINGEND!
Der Mann sah sie mißtrauisch an.
»Könnten Sie bald liefern?« fragte sie deutlich.
Er gab ihr den Schein zurück. »Ich will's versuchen. Sie sind die Dame im Hotel?«
»Ja, im Rila.«
»Wann reisen Sie ab?«
»Sobald ich die Weste habe.«
Er nickte. »Ich verständige Sie«, sagte er.
Diesmal gab Debby ihren Paß im Hotel ab und mietete sich ordnungsgemäß ein. Sie bekam ein Zimmer am Ende des Korridors, das sie eiligst verließ, um wieder zu Mrs. Pollifax zu gehen. Sie war es, die einige Stunden später dem Schneider die Tür öffnete. Er trug eine hübsche unverpackte Weste auf einem Bügel, damit Mrs. Pollifax gleich sehen konnte, daß sie braun war. Er übergab ihr die Rechnung, verneigte sich und verschwand rasch.
Es war jedoch keine Rechnung, sondern eine Nachricht. UM 7.15 AN DER SEITENTÜR.
ACHTEN SIE AUF BLAUES AUTO. In normaler Handschrift war hinzugefügt worden: Warum trägt ein Mann, der Gänse züchtet, in seinem Koffer den gleichen Mantel, wie Sie ihn haben?
»Das nenne ich eine Pointe«, sagte Debby, als Mrs. Pollifax ihr die Nachricht übergab.
»Was soll das heißen. Und — ja, was haben Sie denn?«
Mrs. Pollifax hatte sich auf die Bettkante fallen lassen. »Eine haargenaue Kopie«, sagte sie verblüfft. Sie dachte an ihre erste Nacht in Sofia und an den Einbrecher, der sie aus ihrem Angsttraum geschreckt hatte. Er hatte ihren gesteppten braunen Mantel im Arm gehabt, aber gleichzeitig war ihr Mantel im versperrten Schrank gewesen. Das war also keine Zauberei, sondern einfach zwei Mäntel. Der Einbrecher hatte den zweiten Mantel schon bei sich gehabt, als er ins Zimmer eingedrungen war.
Überdeutlich fiel ihr das klemmende Schloß an ihrer Wohnungstür ein und Miß Hartshorne, die einen Mann mit ihrem braunen Mantel gesehen hatte.
Kaum hörbar sagte sie: »Ich habe das bestimmte Gefühl, daß Mr. Carstairs diesmal nicht ganz offen zu mir war. Debby, reichen Sie mir doch mal die Schere rüber, bitte.« Sie griff nach ihrem Mantel, stülpte ihn um und musterte das Futter.
»Was haben Sie vor?« fragte Debby ängstlich.
»Eine Operation«, sagte Mrs. Pollifax. Damit hielt sie den Futterstoff fest und schnippelte die Fäden aus einem der dicken abgesteppten Vierecke.
»Sind Sie übergeschnappt?« quietschte Debby.
»Ich löse ein Geheimnis. Sie lieben doch Geheimnisse, oder?«
»Bis zu meiner Bulgarienreise tat ich es zumindest.«
»Nun, da haben wir gleich ein neues Rätsel für Sie.« Sie zog ein gefaltetes Stück Papier aus ihrem Mantel und hielt es hoch.
»Geld?« fragte Debby schockiert.
»Ausländisches.« Stirnrunzelnd drehte sie die Banknote um.
»Bulgarisches Geld ist das jedenfalls nicht. Vielleicht russisches?«
» Wußten Sie nichts davon, Mrs. Pollifax? Glauben Sie, daß jedes abgesteppte Viereck einen solchen Schein enthält?«
»Das nehme ich ziemlich sicher an. »Schweigend überlegte sie.
»Aber warum? Und was wollen Sie mit dem Geld tun, nachdem Sie es jetzt gefunden haben?«
Ein feines Lächeln spielte um Mrs. Pollifax' Mundwinkel. »Da Mr. Carstairs mich nicht informiert hat, sehe ich keinerlei Veranlassung, etwas zu unternehmen. Ich werde es wohl als ›Finderlohn‹ behalten.«
»Aber der Mantel könnte ein kleines Vermögen bergen!«
Mrs. Pollifax nickte. »Das grenzt beinahe an eine gütige Vorsehung, wie?« sagte sie erfreut.
»Es gibt eben kaum etwas Böses, das nicht auch sein Gutes hat.«
»Sie sind mir unverständlich, Mrs. Pollifax.«
»Das glaube ich Ihnen gern. Aber jetzt ist es Zeit für Tsanko. Wir wollen
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