der Agentenschreck
nicht mal einen Rat erteilen?«
Mrs. Pollifax lachte. »Nein, weil Sie selbst erkennen werden, was für Sie das Richtige ist. Ich halte Sie für ein sehr intelligentes Mädchen. Und außerdem«, setzte sie versonnen hinzu,
»sind Sie gestern abend knapp dem Tod entgangen.«
»Was hat das damit zu tun?« fragte Debby beleidigt.
»Alles, glaube ich«, sagte Mrs. Pollifax nachdenklich. »Nichts krempelt einen Menschen
gründlicher um als die Todesangst.
Allerdings ist sie nicht in großen Dosen zu empfehlen«, sagte sie energisch. »Wir müssen eine Wiederholung unbedingt vermeiden.«
Sie erreichten Sofia in letzter Minute. Es blieb ihnen keine Zeit mehr, zuerst ins Hotel zu fahren und die Koffer abzustellen.
Fünf Minuten vor zwei setzte Encho sie an der Botschaft ab. Sie winkten ihm kurz zu und liefen ins Gebäude. Jetzt hatte Debby die Führung übernommen und erkundigte sich beim
Empfang, ob Philip Trenda wirklich heute entlassen würde.
»Die Gruppe ist in der Bibliothek«, antwortete der Beamte steif.
»Eine Gruppe?«
»Mr. Trenda stellt sich ausländischen Journalisten.«
»Dann ist er also wirklich hier ?« rief Debby begeistert.
»Aber natürlich.« Der Beamte sah sie überrascht an.
Grenzenlose Erleichterung überschwemmte Mrs. Pollifax. Es gab also doch noch Wunder,
und Tsanko hatte sich geirrt.
Der Beamte führte sie durch den Korridor in die Bibliothek.
Der Raum war groß und sonnig. Die Reporter warteten bereits mit ihren Kameras. Leider
drängten sich alle in einer Ecke zusammen, wo sie einen dichten, beinahe
undurchdringlichen Kreis um zwei Leute an der Wand bildeten.
»Haben wir uns doch verspätet«, murmelte Mrs. Pollifax und reckte sich hoch.
»Verdammt, ich kann ihn nicht sehen!« Debby hüpfte ungeduldig auf und ab.
Mrs. Pollifax entdeckte einen Stuhl und stieg darauf. »Ich sehe seinen Kopf«, sagte sie zu Debby und lugte zwischen den Journalisten durch. »Er hat sich einen kleinen Bart wachsen lassen. Nehmen Sie sich doch auch einen Stuhl, Debby. Dort ist einer.«
»Ich kann — doch, dort ist er.«
Phil stand mit hängenden Schultern neben Eastlake. Zum Schutz gegen die aufflammenden
Blitzlichter trug er Sonnengläser. Er sah mager, müde und apathisch aus. Ob man ihm im
Gefängnis Drogen gegeben hat? überlegte Mrs. Pollifax.
»Bitte, meine Herren«, sagte Mr. Eastlake, »er muß zum Flughafen, und die Zeit drängt.
Aber wie Sie selbst sehen, ist er frei. Das ist das Entscheidende. Bitte fassen Sie Ihre Fragen kurz.«
»Wurden Sie gut behandelt?« rief jemand aus der letzten Reihe.
Philip antwortete mit belegter Stimme.
»Lauter«, rief ein Mann mit britischem Akzent.
»Er sagt, daß er gut behandelt wurde und sich freut, nach Hause zu kommen«, antwortete
Eastlake. »Er ist erkältet und leidet unter einer leichten Halsentzündung.«
»Weiß er, daß seine Verhaftung internationale Schlagzeilen ausgelöst hat?«
Eastlake antwortete für Philip: »Das glaube ich nicht. Er war völlig isoliert, und wir hatten noch wenig Zeit, uns zu unterhalten. Aber jetzt müssen wir wirklich zum Flughafen.
Würden Sie uns bitte entschuldigen...«
Wieder flammten die Blitzlichter. Dann teilte sich die Menge, um Eastlake und Philip
durchzulassen. Sie gingen dicht an Mrs. Pollifax vorbei, die zurücktrat. Debby hingegen drängte sich vor. »Phil?« rief sie ihm zu.
Fragend drehte er den Kopf. Sein Gesicht konnte Mrs. Pollifax nicht mehr sehen. Dann
folgte er Eastlake nach. Die Reporter drängten sich näher und trennten Mrs. Pollifax von Debby. Sekundenschnell hatte sich der Raum geleert. Debby lehnte an der Wand. Sie hatte die Augen geschlossen und hielt sich mit beiden Händen den Magen. Sie sah aus, als sei ihr schrecklich übel.
»Debby?« fragte Mrs. Pollifax unsicher.
Mit zusammengepreßten Zähnen sagte Debby: »Das war nicht Phil. Begreifen Sie — es war nicht Phil! «
Mrs. Pollifax starrte sie an. »Nicht Phil?« Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. Debby hatte völlig recht. Phil hatte sie gesehen, ohne sie zu erkennen. Seine Größe und die äußere
Erscheinung stimmten wohl, aber trotzdem war er ein anderer — ein Strohmann. Die
Halsentzündung täuschte über die fremde Stimme hinweg, Bartstoppeln verdeckten die
Wangen, und die große Sonnenbrille besorgte den Rest.
Tsanko hatte mit einem Widerruf in letzter Minute oder mit einer Verzögerung gerechnet. Die Wirklichkeit aber war bedeutend schlimmer. In den Augen der Welt hatte Philip Trenda sich
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