Der Alchimist von Krumau
aus.
Im Sofa eher schon liegend als aufrecht sitzend, sah der Maître den majestätischen Konvoi bereits vor sich, wie er am Samstagmorgen aus der Prager Hofburg hervortosen würde: In fünfundvierzig sechsspännigen Kutschen würden Rudolf und sein hochwohlgeborener Tross anreisen, gefolgt von zwei Dutzend Gepäckkarren und acht vierspännigen Kutschen für die kaiserliche Kuchelpartei. Man würde sich einschränken müssen, dachte d’Alembert, sie selbst ebenso wie ihre Prager Gästeschar, die sich über die hiesigen Verhältnisse natürlich die Schnäbel zerreißen würden. Denn die Rosenberger Burg war zwar geräumig genug, um Hunderte von Gästen zu beherbergen, aber drei Viertel der Kammern und Säle waren in so trostlosem Zustand, dass selbst Hezilows Lumpenkerle es vorgezogen hatten, drunten im Gewölbe zu logieren.
Jurij Hezilow, dachte er dann, dieser verdammte Teufelsmagister ist der Giftquell meiner Mattigkeit.
Unsinn!, mahnte er sich gleich wieder, es war nur der Wetterwechsel, die Anspannung wegen der vor ihm sich auftürmenden großen Aufgabe, sonst gar nichts.
Das Fürstenappartement zumindest, in dem die allerherrlichste Herrlichkeit nächtigen würde, hatte er vorausahnend schon vor Monaten herrichten lassen, glanzvoller selbst als die gräflichen Gemächer, und den mit böhmischem Glas verspiegelten Thronsaal. Einzig im Fürstenappartement, das eine ganze Etage über dem vierten Burghof einnahm, mit einem herrlichen Blick auf das Dächergewirr von Krumau und die sich durchs Tal ringelnde Moldau – einzig dort hatte d’Alembert jedes Zimmer mit echten Kostbarkeiten einrichten lassen, mit Gobelins aus den Niederlanden, Teppichen aus Venedig, Goldledertapeten aus London; allein die Vorhänge im Fürstenappartement, aus dem berühmten kurzhaarigen Lucca-Samt gefertigt, hatten die ruinöse Summe von dreitausend Silbertalern verschluckt.
Denn aus irgendeinem Grund hatte er nicht gewagt, auch diese Räumlichkeiten, in denen die väterliche Majestät logieren sollte, mit wohlfeilen Imitaten auszustatten – aus Aberglaube vielleicht, wie er nun dachte, oder aus handfesterer Angst vor dem Jähzorn des Bastardsohns.
Abermals zog er sein Tüchlein hervor, das bereits durchnässt war von seinem Schweiß. Behutsam atmete er ein und wieder aus, aber wie sorgfältig er auch in sich hineinhorchte, er vermochte keinen Schmerz in seinem Herzen, kein Kratzen in seiner Lunge festzustellen.
Dennoch wuchs in ihm die Furcht, dass in seinem Leib eine ernstliche Krankheit heranreifen könnte, übergesprungen vielleicht vom Obersthofmeister oder gar vom erbarmungswürdig ausgezehrten Astrologen, den er gestern noch in seiner Turmkammer aufgesucht hatte.
»Der Löwe hockt mir in der Brust«, hatte von Sargenfalt mit heiserer Stimme geklagt. Am helllichten Tag hatte er im Bett gelegen, bis zum Kinn unter schweißfeuchten Decken vergraben. »Ich spür seine Tatzen schon im Rücken und im Herzen, sein heißer Atem bringt mein Blut zum Kochen, Maître: Bald zerreißt’s mich, denkt an mich, mon vieil ami.« Seine Rede war in einem Chaos aus dröhnendem Husten, tränenden Augen und sprühendem Speichel zerborsten, ärger noch als die Hustenattacken, denen von Breuner in immer kürzeren Abständen erlag.
Aber auch der Haushofmeister konnte in diesem Zustand keinesfalls das kaiserliche Mahl beaufsichtigen. Unvorstellbar, dass von Breuner verzerrten Gesichts vor die väterliche Majestät trat und ihr mit bebender Hand die Bissen vorschnitt, dabei die Lippen zusammenpressend und die Backen blähend.
So oder so, dachte d’Alembert dann, würde es Robert, Rudolfs Kammerdiener und engster Vertrauter, nicht dulden, dass irgendjemand außer ihm selbst dem Kaiser auch nur ein Bröckchen Brot vorlegte. »Niemand hier in Prag misstraut der kulinarischen Raffinesse Eures wackeren von Breuner, aber der Magen der Majestät ist empfindlich, wie Ihr ja wisst, mon cher monsieur«, hatte ihn die Stradová in ihrem jüngsten Schreiben beschwichtigt. Schon seit Jahren begab sich Rudolf kaum mehr auf Reisen, ohne zumindest seine zuverlässigsten Köche mitsamt der unentbehrlichsten Kuchelschar mitzuführen. Und wenn es sich irgend vermeiden ließ, schlug er ohnehin alle Einladungen aus und verkroch sich in den hintersten Kammern des Hradschin, unerreichbar selbst für seine Minister oder seinen Bruder Matthias, der in Ungarn seit Jahr und Tag verzweifelte Schlachten gegen die Mohammedaner schlug.
Tatsächlich hatte Rudolfs Angst vor
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