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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Böhmens, erheben ließ.
    »Don Julius und der Herr Magister«, meldete Pavel von seinem Pult her, »rechnen nun für nächste Woche mit der fraglichen Nachricht aus Prag.«
    In einem seiner hartnäckigen Fieberträume rollen Hezilows Kutschen über schwarzes, kahles Land, zwischen abgeernteten Äckern, blattlosen Bäumen dahin. Wann immer die Lumpenkerle auf einen einsamen Wanderer stoßen, beugt sich Unçerek – oder Oblion oder Tákie – aus der Tür, packt den Unseligen beim Kragen und reißt ihn bei kaum geminderter Geschwindigkeit in den schwarzen Kasten hinein. Der Kutscher lässt die Peitsche tanzen, in rasender Fahrt geht es weiter, zum Richtplatz vor dem Budweiser Tor, wo Jakob Schatz schon auf die Gesellen wartet, oder zum Rosenberger Kastell, dessen Gemäuer sich mehr und mehr mit Hezilows Jagdbeute füllen.
    Tatsächlich aber verhielt sich der Puppenmacher seit drei Monaten so still wie die Katze vor dem Mauseloch. Das jedenfalls ging aus den Worten Markétas hervor, die den Maître in den Wochen seiner Krankheit regelmäßig aufgesucht, aufgemuntert und mit Heiltränken traktiert hatte. »Das Zögern der Majestät hemmt die alchimistische Magie, Euer Liebden«, mit solchen und ähnlichen Floskeln vertröste Hezilow ein ums andere Mal den jungen Grafen, der, außer sich vor Ungeduld und Kummer, vom Puppenmacher die versprochenen Teufelsstreiche einfordere: Gold in funkelnden Strömen und Kreaturen in blanker Schar.
    Solange die Majestät und der Magister gleichermaßen zögerten, ihre Versprechungen einzulösen, konnte sich d’Alembert sogar halbwegs guten Gewissens gestatten, in Fieberträumen zu wimmern und in Ekstasen der Ehrlichkeit zu schwelgen. Aber in den letzten Wochen wäre er wohl auch dann auf seinem Krankenbett liegen geblieben, wenn Hezilows Taten-drang nicht durch ein taktisches Patt gehemmt worden wäre.
    Dabei war ihm der Ausgang dieser blasphemischen Schachpartie keineswegs gleichgültig geworden, im Gegenteil. Allerdings hatte er seine Zuversicht, dass er selbst die weißen Figuren zum Sieg führen könnte, so weitgehend eingebüßt, dass er für jeden Tag dankbar war, um den sich der Fortgang des fatalen Spiels verzögerte.
    Emsig schlitzte Pavel drüben am Stehpult Depeschen auf, die auch heute zu Dutzenden für den Obersthofmeister von Burg Krumau eingetroffen waren. Seine Miene verriet, wie sehr es den anhänglichen Alten erfreute, dass der Maître entschlossen schien, endlich wieder er selbst zu werden.
    In einem seiner wiederkehrenden Fieberträume schwimmt d’Alembert in einem See umher, und auf einmal bemerkt er, dass das Wasser vor winzig kleinen Menschlein wimmelt. Er fährt zusammen, da erschauert die ganze weite Seefläche, und plötzlich schwimmen sie von allen Seiten auf ihn zu. Der gesamte See, so weit sein Auge reicht, schimmert und schäumt von den eifrigen Bewegungen der daumenkleinen Leiber, die ihm von überallher entgegenschnellen, selbst aus der trüben Tiefe des Wassers stieben sie zu ihm empor. Verzweifelt versucht er sich ans Ufer zu retten, doch im nächsten Moment ist er von Kopf bis Fuß mit funkelnden Homunkeln bedeckt, einer wimmelnden Kruste mit hunderttausend Händchen und Mündlein, die ihn zwicken und beißen und zwacken und kneifen, jeden einzelnen Zoll seiner Haut.
    D’Alembert sah zu Pavel hinüber, und aufs Neue vermischte sich der Blätterwirbel vor dem Fenster mit dem Gewimmel im schaumigen See seines Fiebertraums.
    Nach wie vor schien es ihm zweifelhaft, dass der Magister tatsächlich die Natur bezwingen, dass er Gold aus Blei oder gar lebendige Kreaturen aus Dampf und Dreck erschaffen konnte. Aber dem Puppenmacher war etwas ungleich Bedeutenderes gelungen – er hatte ihren Geist bezwungen, indem er das Bild der im gläsernen Becken wimmelnden Menschlein unauslöschlich in ihre Seelen geprägt hatte.
    Und vielleicht, dachte d’Alembert, ist dies sogar die innerste Ursache des Fiebers, das mich verzehren will: das unerträgliche Wissen, von meinem Widersacher auf eigenem Terrain geschlagen zu sein.
    »Lass die Briefe, Pavel«, sagte er, »erst will ich Breuner aufsuchen. Wie geht es ihm?«
    Der Sekretär erstarrte, über sein Stehpult gebeugt. »Der Haushofmeister ist ins Paradies gefahren, vor vier Wochen schon, Maître d’Alembert.«
    Charles d’Alembert hatte den Tod niemals gefürchtet, allerdings auch nie herbeigesehnt oder gar nach christlicher Manier verherrlicht. Das katholische Kriechen vor der Majestät des Todes verabscheute

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