Der Alchimist von Krumau
sodass für einige Momente kaum etwas zu erkennen war.
Als sich das Wasser hinter der Kristallwand wieder geklärt hatte, sah d’Alembert, wie hundert kleine Menschlein mit krampfhaften Bewegungen zum Grund des Beckens tauchten, hundert Hände nach hundert gülden funkelnden Klümpchen griffen und mit ihrer Beute wieder nach oben schwebten.
»Go-gold!«, rief Flor atemlos, aus hundert winzigen Mündern.
»Der kö-königliche Leu!«
Hundert Arme warfen hundert Goldklumpen aus dem Bassin heraus, doch nur ein einziger überwand die Zaubergrenze und flog zu ihnen herüber.
D’Alembert fing den Metallbrocken auf. Unerwartet schwer, funkelnd und nass lag er in seiner fieberheißen Hand.
»Übergebt ihn uns, Maître, wir gebieten’s«, sprach die väterliche Majestät. »Bestätigen unsere Schwarzkünstler die Probe, so lassen wir den Magister zum böhmischen Ritter schlagen.«
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Am folgenden Morgen rollten alle siebenundsiebzig Kutschen des kaiserlichen Konvois unter sonntäglichem Glockengeläute wieder gen Prag. Acht Tage später, am 17. Junius 1607 A.D. erhielt d’Alembert einen dringenden Brief von Katharina da Strada, des Inhalts, dass die Mitglieder der kaiserlich-alchimistischen Akademie befunden hätten, Magister Hezilow habe wirklich und wahrhaftig Plumbum zu Gold transformiert.
Maître d’Alembert vermochte die Worte nur mit Mühe zu entziffern. Die Zeilen flimmerten ihm vor den Augen, der Bogen entglitt seinen Fingern; Pavel nahm ihn wieder an sich, tupfte seinem Herrn über die fiebrig glühenden Wangen und schlich auf Zehenspitzen zur Tür.
D’Alembert hatte sich unmittelbar nach der Goldprobe zu Bett begeben, siebzig Stunden wie ein Toter geschlafen und auch in den Tagen danach sein Schlafgemach nicht ein einziges Mal verlassen. Fieberträume quälten ihn bei Tag und Nacht, er verspürte keinen Appetit, nicht einmal Durst, obwohl er nach wie vor maßlos schwitzte. In seinen Träumen tanzten und schwebten Tausende goldener Homunkel in weltengroßen Kristallbassins, Löwen, Bären und mondgestaltige Schlangen kämpften um Haufen gleichförmiger nackter Menschlein, die zu himmelhohen Türmen vor ihnen aufgestapelt lagen.
Der Maître knirschte mit den Zähnen, stöhnte furchtbar und warf den Kopf hin und her. Zum ersten Mal, seit ihm die väterliche Majestät vor bald zwanzig Jahren ihren Bastardsohn anvertraut hatte, war Charles d’Alembert unleugbar krank.
»Flüchtiges wird dauerhaft und lernt, selbst der Flamme zu widerstehen.«
SIEBEN – FIXATIO
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Als sich d’Alembert von seinem Krankenlager aufraffte, war ein früher Herbst ins Moldautal eingezogen. An Pavels hageren Arm geklammert, schleppte er sich vom Schlafgemach in seinen weißen Salon, den er seit Monaten nicht betreten hatte. Das erste Bild, das er, am Fensterstock lehnend, in sich aufnahm, war ein bleifarbener Himmel, über den schwarzgraue Wolken jagten, bauchig und gefleckt wie trächtige Kühe. Der Ostwind blies einen Wirbel goldenen Eichlaubs über die vor Nässe stumpfen Dächer von Krumau, so klaftertief unter seinem Fenster, dass er sich gleich wieder abwandte, erschauernd und von Schwindel geplagt.
»Zum Sofa, Pavel«, ordnete er mit dünner Stimme an, »mir zittern die Knie.«
Leise ächzend schleppte der Sekretär ihn zum Hirschledermöbel, wo d’Alembert unter selbstvergessenem Seufzen in die Polster sank.
Noch immer flimmerte ihm der goldene Wirrwarr des Herbstlaubs vor Augen und vermischte sich mit den Bildern, die ihn in seinen Fieberträumen gepeinigt hatten.
Im Grunde fühlte er sich noch genauso ausgezehrt wie vor drei Wochen, als er zum ersten Mal versucht hatte, sein Krankenlager zu verlassen, um nach einem halben Dutzend Schritten umzukehren, zitternd vor Schwäche und Verzagtheit. Immerhin hatte sich das Fieber nun zurückgezogen, nach Art belagerter Invasoren, die sich im unzugänglichsten Wehrturm verschanzen.
Wenn ich ehrlich bin, dachte der Maître – und sich selbst gegenüber schwelgte er seit Wochen in Ekstasen der Ehrlichkeit –, erwarte ich nicht, dass sich dieser Eroberer noch einmal aus den Ruinen meiner Person verjagen lässt.
Man schrieb den 5. September 1607 A.D. einen Mittwoch – fast drei Monate waren seit dem Besuch der väterlichen Majestät verflogen und verweht. Und noch immer schien ganz Krumau, Stadt und Burg, mit angehaltenem Atem darauf zu warten, dass der Kaiser sein Versprechen einlöste und Hezilow zum rytir z Imany, zum Ritter
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