Der Alchimist von Krumau
beiden Flaschen zur Hand, die d’Alembert von der ersten Goldprobe her gleichfalls schon kannte. Der Anblick des Gallerts, der modrige Geruch, der aus dem Sarg aufstieg, seine bange Ahnung, dass sich am Grund des Sarges noch irgendetwas Unerwartetes befinden musste, Frost und Fieber, die einander wie Schlange und Leu in seinem Körper jagten, schließlich auch Fabrio im klaffenden Sonnenmantel – die Fülle der Eindrücke drohte d’Alembert zu überwältigen, aber er war entschlossen, sich nicht übertölpeln zu lassen. Nicht von Euch, Lumpenteufel, dachte er, zumindest mit einem Auge ständig zum Athanor hin schielend, während Fabrio neben dem schwarzen Sarg theatralisch auf die Knie sank.
»Frau Königin – meine Gemahlin!«, rief der königliche Leu in klagendem Tonfall aus, fuhr mit zitternder Hand über dem Gallert hin und her und konnte sich scheinbar nicht beruhigen über den Tod seiner Gattin, der königlichen Frau Mond.
Unterdessen hatte Hezilow vor dem alchimistischen Herd einen Quecksilberstrahl aus der einen in eine zweite Flasche gegossen, die er nun zur väterlichen Majestät hin schwenkte:
»Mäjsterwasser, Euer durchläjchtigste Gnaden!« Er verkorkte die Flasche und schüttelte sie kräftig, worauf der eben noch wasserklare Inhalt sich milchig trübte.
In hohem Bogen goss der Puppenmacher nun diese Flüssigkeit in die Kupferschale, in der das Gemisch aus Wasser und Mondpulver brodelte, aber d’Alembert nahm es kaum mehr wahr. Allzu ungeheuerlich schien ihm, was zur gleichen Zeit im schwarzen Sarg geschah; so sehr er sich auch dagegen wehrte, das Mysterienspiel zu seinen Füßen zog ihn gänzlich in seinen Bann.
Unter der Decke und weiter vorn im Gewölbe hatten schon vor Augenblicken wieder etliche Hebel zu knirschen und Winden zu quietschen begonnen. Zunächst hatte es der Maître kaum beachtet, endlich aber doch zur Decke emporgespäht, darauf gefasst, abermals den Nabellosen an seiner Kette baumeln zu sehen. Was er jedoch stattdessen erblickte, war eine gerundete Spiegelscherbe von gewaltiger Größe, die mit Hilfe quietschender Hebel hin und her bewegt wurde, bis der richtige Winkel gefunden schien: Ein dicker Strahl funkelnden Sonnenlichts, anscheinend durch ein ganzes System solcher Spiegel in die Unterwelt hinabgeleitet, wurde von der Scherbe über ihnen eingefangen und geradewegs auf den Sarg voll grünlichen Gallerts gelenkt.
Mit Hilfe eines Stocks schob Hezilow das Gefäß voll kochender Mond-und Meistersäfte vom Feuer; in diesem Moment hätte er gewiss Hände voller Gold in die Schale werfen können, ohne dass Rudolf, Julius oder selbst d’Alembert es bemerkt hätten. Unter den Augen der fassungslos staunenden Zuschauer löste sich der grünliche Gallert gedankenschnell in Luft auf, ein Gebrodel übel riechender Gase, unter dem Frau Mondkönigin sichtbar wurde. Sie lag am Boden des Sargs wie vorhin ihr güldener Sonnengemahl: die Augen geschlossen, die Hände vor der Brust gefaltet, angetan mit einem nachtschwarzen Mantel, der über und über mit schlangengesichtigen Mondsicheln bestickt war.
Sie ist tot, dachte d’Alembert wieder mit jähem Erschrecken, während Lenka die Augen aufschlug, die Hände ihres Bruders ergriff und sich von ihm aus dem Mondsarg ziehen ließ.
Vor den Augen des Kaisers, seines Bastards und des fiebrig bezauberten Maître begannen die Zwillinge zu tanzen, sich umeinander zu drehen, wie Sonne und Mond dies am Himmel wahrhaftig zu tun pflegen. Sie hielten einander bei den Händen, entfernten sich, tanzten aufeinander zu und entfernten sich wieder, bis sie sich nur noch an den weit ausgestreckten Händen hielten. Ihre Mäntel glitten zu Boden; über und über mit löwengesichtigen Sonnenscheiben und schlangengesichtigen Mondsicheln bemalt, tanzten sie den Gästen des Puppenmachers die Ekstasen von Sonnen-und Mondfinsternis vor – übereinander in den Mondsarg oder in die Sonnentruhe sinkend, miteinander verschmelzend, sich wieder erhebend, trennend, aufs Neue zueinander tanzend in traumhaftem Schweben.
Währenddessen hatte Hezilow den Schlamm in der Kupferschale auf dem Ofen getrocknet, einen gewaltigen bleifarbenen Metallklumpen in einen Tiegel gegeben und aufs Feuer gestellt. »Keeniglicher Läj«, rief er wieder, »ergieße deine Strahlenkraft in unser großes Werk!«
Auf den pfeifenden Ruf hin tanzten Sonne und Mond auf ihn zu, eng umschlungen nun, und stellten sich neben den Athanor. Die Mondkönigin sprang an ihrem Sonnengemahl empor, seine
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