Der Alchimist von Krumau
er, ohne deshalb auch die Menschen zu verachten, die der tröstlichen Magie so dürftiger Lügen erlagen.
Gleich den großen Griechen, deren Weisheit und Lebenskunst er verehrte, würde er den Schierlingsbecher leeren, wenn seine Stunde gekommen wäre, ein würdevoller Abschied, bestimmt von stillem Gedenken, den er sich in vielen Einzelheiten schon oftmals ausgemalt hatte.
Wie die heiligen Weiber, mit denen Johanna von Waldstein sich seit einiger Zeit umgab, oder wie der finstere Pater Miguel, der während seiner Krankheit hier in Krumau eingetroffen war, glaubte auch d’Alembert an ein Jenseits, in dem sich die Seelen der Verstorbenen aufhielten. Allerdings hatte er sich niemals zu dem Wahn bereden lassen, dass es sich nach dem Dahinscheiden des Leibes seliger leben ließe. Wie schon Plato oder Euripides wussten, war das Jenseits »eine kalte Geisterwelt, wo frierend Schatten sich an Schatten drängt und find’t doch keinen Hauch von Zärtlichkeit, von Leidenschaft und Leibeswärme«.
Fröstelnd stand d’Alembert vor dem Grab seines alten Gefährten von Breuner, am Rand des Rosenberger Gottesackers, der sinnigerweise hinter dem gräflichen Irrgarten lag. Der wackere Haushofmeister hatte ein halbes Leben in Don Julius’ Diensten verbracht, ebenso wie er selbst, und plötzlich spürte Charles mit überwältigender Gewissheit, dass er dem Freund bald schon nachfolgen würde.
In dünnen Strähnen rann der Regen herab. Törichter Aberglaube, dachte d’Alembert. Auf dem schwarzen Hügel verwelkte ein halbes Hundert Asphodelen, der Engel auf dem Grabstein deutete grimmig himmelwärts.
»Er ruhe in Frieden«, sagte Pater Miguel, »Gott im Himmel sei seiner armen Seele gnädig. Amen.«
»Amen«, wiederholte Markéta, die neben dem Maître am Grab stand, die Hände fromm gefaltet, doch d’Alembert sah schweigend zu Pater Miguel auf.
»Kommt recht bald einmal zur Beichte, mein Sohn«, sagte der Geistliche, indem er, die schwarzen Augenbrauen zusammengezogen, mit brütendem Blick auf ihn heruntersah.
»Kommt am besten schon heute, um Eurer Seligkeit willen.« Einen Moment lang hielt d’Alembert dem Blick des so wenig barmherzig wirkenden Paters noch stand, dann sah er auf seine Füße hinab, die zum ersten Mal seit Monaten wieder in Schnabelschuhen steckten. Diese gnadenlos frommen Priester, dachte er, holen sie geradewegs aus Spanien, von Ihrer Allerkatholischsten Majestät. Obwohl er seinen mit Schneenerzen gefütterten Winterumhang übergeworfen hatte, fror er am ganzen Leib, ein klapperndes Bündel aus Nässe, Kälte, Schwäche, dessen innerster Kern still verglühte.
»Nennt mich nicht Sohn, denn mein Vater seid Ihr nicht«, sagte der Maître endlich, und dann fuhr er zusammen, da Markéta zu seiner Rechten einen seltsamen, gepressten Laut ausgestoßen hatte, halb Lachen und halb Schluchzer.
Der Geistliche machte einen Schritt auf ihn zu. Seine bullige Gestalt und das düstere Antlitz mit den bläulichen Bartschatten wirkten mit einem Mal so bedrohlich, dass d’Alembert ernstlich Angst bekam.
»Eure Seele ist verhärtet und verstockt, Senor d’Alembert«, sagte Pater Miguel. »Büßt und betet, ehe es zu spät ist und Gott Euch auf ewig verdammt.«
D’Alembert verbeugte sich flüchtig in Richtung des Grabes und trat den Rückweg an. Dass er den Tod nicht fürchtete, hieß noch lange nicht, dass er sein Leben bereitwillig von sich werfen würde.
Dankbar nahm er hin, dass Markéta ihren Arm unter seinen Ellbogen schob und ihn stützte, während sie auf durchweichten Wegen am Irrgarten vorbeigingen, um den Schwanensee herum und in sanftem Gefälle wieder zur Burg hinab. Unablässig fiel Regen in lotrechten Schnüren, selbst das Laub sank so schwer von den Bäumen, als wären es Blätter aus gehämmertem Blei.
Hinter ihnen lief der spanische Pater, mit dröhnenden Schritten und unverwandt Gebete murmelnd. Nach dem Bader Pichler und dem alten Scharfrichter hatte also auch Pater Hasek seinen Posten räumen müssen, dachte d’Alembert. Wie mochte Julius dieses Schelmenstück gelungen sein? Geistliche konnten allein von ihrem Bischof eingesetzt oder abberufen werden, und wenn sich der Erzbischof von Prag auf diesen Handel eingelassen hatte, dann musste er eine beträchtliche Gegenleistung erhalten oder sich mächtigem Druck gebeugt haben.
Meistens war es d’Alembert gelungen, rechtzeitig aus jenem Fiebertraum zu erwachen, aber ein paar schreckliche Male hatte er in die winzigen Gesichter der tausend
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