Der Alchimist von Krumau
Maler und Bildhauer, alle Schauspieler und Musiker, Schmarotzer und Schamlosen waren erschienen, sein gesamtes Gefolge, wie Julius es befohlen hatte. Jedenfalls diejenigen, die noch am Leben und bei leidlicher Gesundheit waren, denn über die Toten und die Siechen geboten weder Kaiser noch gar Graf.
Obwohl die Pestilenz hauptsächlich drunten in der Stadt und draußen in Weilern und Wäldern wütete, waren doch auch hier in der Burg viele Opfer zu beklagen. Nach Haushofmeister von Breuner waren vier Kuchelmägde, ein halbes Dutzend meist junger Lakaien und drei Hofbeamte dahingerafft worden. Außerdem der Maler da Biondo – sein Porträt des Grafen unvollendet – und fünf seiner Schüler, darunter Piero, der Bruder der kleinen Clarissa, die im Sommer vom Bären zerfleischt worden war.
Nicht zu vergessen den Hünen Robse und seinen Sohn Hielo, nicht zu vergessen den Sternengucker Sargenfalt, dessen Leib zwar immer noch unter ihnen weilte, doch seine Seele und sein Geist schienen auf immer in der Weite jener Nebelwelt verirrt.
Zu viele, dachte Markéta, viel zu viele Menschen, lieber Herr, die um Euretwillen hingehn mussten, auf diese oder jene Art.
Schon als sie Julius zum allerersten Mal gesehen hatte, bei seiner Ankunft hier in Krumau – als er vor ihr aus der Kutsche gesprungen war und sie in seine braunen Augen voller Schmerz und Selbsthass sah – als er sich über Melchior Kurusch gebeugt hatte, den Unseligen, der von der Kutsche seines Herolds überfahren worden war – schon damals hatte sie in jähem Schreck gespürt, dass etwas wie ein schwarzer Schleier ihn umgab. Tod, mein allerliebster Herr, so viele, die für Euch ihr Leben ließen.
Die Musiker begannen in die Tasten zu schlagen, auf die Trommeln zu hauen und in die Flöten zu blasen, und von Hasslach ließ an Delikatessen auffahren, was die pestilenzisch ausgezehrte Küche noch hergab.
Markéta löffelte, trank und säbelte, ohne recht drauf zu achten, was sie zu Munde führte. Sie nahm sich mit der Hand die vorgeschnittenen Bratenstücke, fühlte Julius’ Hand auf ihrem Schenkel, in die samtigen Falten ihres Kleides, ihres Fleischs, ihrer Wehmut sich verkrallend, ließ bereitwillig ihre vor Saucenfett triefende Linke unters Tischtuch entführen und dachte: D’Alembert und ich sind die Einzigen im ganzen Saal, die nicht diese lächerlichen und durchaus unheimlichen Klatschmohnsträußlein tragen.
Die Kaminfeuer an beiden Seiten des Saals loderten und fauchten. Weiter hinten an der Tafel sprangen schon wieder einige junge Poseure auf und kletterten ohne weiteres auf den Tisch, um sich zwischen Schweinskopfsülze und gestopftem Perlhuhn in dreisten Figurationen zu zeigen, ihre winterbleichen Leiber mit Girlandenmustern aus Mohnblüten und fleischigen Stängeln bemalt.
Sie hatte einen Entschluss gefasst. Eine Entscheidung sich abgerungen, nachdem sie den halben Tag lang gesucht und nirgendwo eine Spur von Vater Sigmund gefunden hatte. Nicht im Baderhaus, wo Hezilows Gesellen feixend hinter ihr her gestolpert waren, während sie alle Kammern, Gemächer, selbst den Keller unter der Zuberstube durchsucht hatte. Nicht im Wirtshaus »Zum Goldenen Fass«, obwohl der Wirt selbst und der dritte Gesandte, Karel Kudaçek, längst wohlbehalten zurückgekehrt waren. Nicht im gräflichen Hospiz neben dem Pulverfass, wo Jan Mulars Gardisten ihr den Zutritt verwehrt hatten, und noch weniger in Hezilows Unterwelt, in die vorzudringen sie nicht gewagt hätte, auch wenn weder Oblion noch Fondor – oder weder Unçerek noch Tákie – vor dem Gewölbetor Wache gestanden hätten.
Heute beim Mittagsläuten waren die drei Gesandten zusammen ins Hospizgebäude gegangen, durch die Tür am untersten Burghof und die Treppe hinauf in den Krankensaal. Dort hatten sie sich getrennt – so übereinstimmend Wirt und Flößer –, um mit möglichst vielen Kranken zu reden und möglichst genau zu untersuchen, was es mit der angeblichen Pestilenz auf sich hatte.
Der Krankensaal war weitläufig und von pestwehrenden Dämpfen erfüllt. Zwei Dutzend Befallene in den Betten, weitere Elende auf Strohlagern am Boden, außerdem wenigstens zehn heilige Weiber, die überall umherschwirrten und weniger Trost oder gar Heilung als Furcht und Verwirrung stifteten. Als der Flößer Karel Kudaçek, Vater des »falschen Homunkel« Nico, und der Wirt Stanislaus Brodner, Vater des Gardisten Franz und des kleinen Silvan, am Eingang des Krankensaals wieder zusammentrafen, war vom Bader weit
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