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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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noch bei den Frauengemächern vorbeigehen, um ihren burgunderroten, mit Zobel gefütterten Umhang zu holen, ein wahrhaft fürstliches Geschenk von Julius. Vorn im Empfangsraum aber, auf dem lachsfarbenen Sofa, saß Flor.
    Als sie hereinkam, sprang er auf und begann stammelnd auf sie einzureden. »Mi-mit dem Trichter, Ma-markéta!« Er fasste sie sogar bei den Schultern, damit sie stehen blieb und ihm zuhörte, das hatte er nie zuvor getan.
    Aber sie hatte jetzt keine Zeit für ihn. »Später, Flor. Ich muss noch mal raus.« Sanft machte sie sich los von ihm und lief nach hinten, zu ihrem Ankleidezimmer, wohin die Mädchen den Umhang wahrscheinlich gebracht hatten. »Bronja? Lisetta? Wo seid ihr denn!«
    Der Nabellose lief hinter ihr her, versuchte noch immer sie festzuhalten und überschüttete sie nun von hinten mit seinen Stammelkaskaden. »In der Ka-kanne, Markéta. Wollt wie-wieder fliehn, und diesmal: neh-nehmen mich mit!«
    »Bitte, lieber Flor. Später! Ich kann jetzt wirklich nicht.«
    »Da-dann: du-dunkel!«
    Unten in der Stadt begannen die Glocken zu läuten, drei Herzschläge später fielen, mit dumpfem Dröhnen, die Glocken der Burgkirche ein.
    »Weihnacht, Flor. Ich wünsch dir glückliche Weihnachten!« Plötzlich war ihr zum Heulen zumute. Sie riss sich von ihm los und zog den Schrank auf, dunkelrot leuchtete der Umhang zwischen ihren Kleidern hervor.
    Vater Sigmund, dachte sie, wie konnte er nur so plötzlich verschwunden sein? In den Krankensaal hinein und nicht wieder heraus, wie war so was möglich? Zum hundertsten Mal führte sie sich den Hospizsaal vor Augen, während sie den weichen, duftenden Umhang aus dem Schrank nahm und über ihre Schultern warf. Die einzige Tür befand sich nahe der rechten Stirnwand, die Fenster vis-à-vis wiesen auf den schmalen Hinterhof und waren überdies vergittert. Und weitere Türen führten offenkundig nicht hinein und nicht hinaus! Sie war ja selbst dort oben gewesen und hatte den Krankensaal mit eignen Augen gesehen: zwei Dutzend Betten, sonst nichts! Wie konnte dort ein Mann wie der Bader verloren gehen, und dazu noch unter den Augen seiner Gefährten?
    Auf einmal klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Wie konnte sie nur glauben, dass sie den Bader aufzuspüren vermochte, sie allein dort draußen in der Weihnachtsnacht? Wo wollte sie denn überhaupt nach ihm suchen? Etwa im Krankensaal? Aber dort hatten ja schon Karel Kudaçek und Stanis Brodner vergebens nach ihm geforscht! Oder sollte sie vielleicht versuchen, in Hezilows Gewölbe hinabzuschleichen? Die Beine wurden ihr weich, wenn sie’s sich auch nur von ferne vorstellte: der riesengroße Felsensaal, die Säulen und Schatten, fauchende Öfen und zischende Apparate, und dann Hezilows Lumpenkerle, die sich japsend und jauchzend auf sie stürzen würden, sowie das Gewölbetor hinter ihr zugefallen war!
    Und doch muss ich gehen, dachte sie, um des Baders willen und um meiner selbst.
    Während sie noch mit sich rang, zog Flor einen schwarzen Umhang aus ihrem Schrank, warf ihn sich über und nahm sie bei der Hand. »Mi-mit dir.«
    Ihr erster Gedanke war, dass es viel zu gefährlich war, ihn mitzunehmen, aber stärker war die Erleichterung, die sie gleich darauf durchströmte: So bin ich zumindest nicht allein.
    Dankbar lächelte sie Flor an und lief mit ihm hinaus in den wirbelnd weißen Weihnachtsabend.
     
    Die Nacht gleißend vor Schnee. Die Luft ein Gestöber, darüber der blanke Glitzerhimmel, als ob der Schnee direkt von den Sternen fiele.
    Die silbrigen Fähnchen ihrer Atemluft. Längst waren die Glocken verstummt. Von irgendwoher wehte Chorgesang der heiligen Weiber herbei, in den mit einem Mal eine Bassstimme einfiel: Pater Miguel.
    Noch auf der Treppe hatte sich Flor eng an sie herangedrängt. Sie hatte es geduldet, obwohl sie die Blicke der Gardisten, oben vor den Frauengemächern, noch auf ihrem Rücken spürte. Umschlungen wie ein Liebespaar liefen sie durch die Burghöfe abwärts, wortlos, nur zuweilen leise Schreckenslaute ausstoßend, wenn sie auf dem glitschig abschüssigen Grund ins Rutschen gerieten.
    Markéta hätte noch lange so laufen mögen, immerzu weiter an Flors Arm abwärts durch die Nacht voll tanzendem Schnee. Zwischen den freimütigen Fresken und Malereien hindurch, mit denen Graf Wilhelm seine Mauern hatte schmücken lassen, bis seine allerletzten Taler verteilt waren. Dann vorbei am riesenhohen Gewölbetor linkerhand, das verschlossen und verrammelt war, kein Wächter, kein Lumpenkerl

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