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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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und wiesen mit Märtyrermienen ihre Beulen und Schürfwunden vor. Nur Fabrio scharwenzelte aufreizend heiter durch das rußige Tohuwabohu, im Unterschied zu Lenka, die sich gleich beim Aussteigen einen Fuß verknickst hatte und seither ein noch grämlicheres Frätzchen zog.
    Ein Glück nur, dachte der Maître, dass Julius zumindest bisher von den Plänen seiner Verlobten nichts zu ahnen schien. Dabei jagten seit acht Tagen Eilkuriere zwischen dem Hradschin und Burg Krumau hin und her: Johanna von Waldstein sei außer sich, so die mütterliche Mätresse, über die »schamlose Kabale der pseudo-adligen Badershur«. Das fromme Freifräulein verlange, die Rivalin augenblicklich zu entfernen – »aus seinem Bett, aus der Burg, aus unserem geliebten Böhmen, so weit wie möglich fort von Don Julius!« Aber das, werte Johanna, kommt zumindest derzeit nicht in Betracht, dachte d’Alembert. Wenn Don Julius und Madame Markéta ahnten, dass die Waldstein sogar angedroht hatte, in eigener Person nach Krumau zu reisen,
    »um sich im Gemäuer seines gräflichen Herzens aufs Neue zu installieren«, dann würde das verliebte Pärchen womöglich beschließen, überhaupt nicht mehr nach Krumau zurückzukehren. Und dabei war diese Ahnengruft der reinste Schweinestall, sagte sich Charles; warum nur hatte Julius darauf bestanden, Hals über Kopf zu dieser Jagdpartie aufzubrechen, und seinen bislang so heiß geliebten Magister in den Krumauer Gewölben sich selbst überlassen? Dies alles war so rätselhaft und beunruhigend, dass d’Alembert beinahe dankbar war für die vielfältigen Herausforderungen, vor die ihn der miserable Zustand der Rosenberger Trutze stellte. Derlei Probleme ließen sich immerhin beheben, wenn auch eher notdürftig als solide oder gar elegant, und vor allem halfen sie mit, die Bestien der Vorahnung in seinem Innern einzuschläfern.
    Am frühen Nachmittag waren sie eingetroffen, bis Sonnenuntergang lief d’Alembert umher, schimpfte und lobte, ordnete an und munterte auf. Er befahl, Ratten zu erschlagen und Fensterlöcher zu verrammeln, ließ die Hunde in die Remise und die Kutschen in die Scheune schaffen. Ein magerer Kuchelknabe musste aufs Dach hinauf und sich durch den Kamin hinunterwinden, bis er auf den Pfropfen stieß, der den Abzug verstopfte: ein ganzes Rudel Fledermäuse, zum ledrigen Klumpen mumifiziert. Auch dieser Fund war wenig geeignet, die Stimmung in der Dienerschaft zu heben, und sogar er selbst, Maître d’Alembert, konnte sich eines beklommenen Gefühls nicht erwehren, als er den Kuchelknaben aus dem Ofen kriechen sah, schwarz wie ein Satansbraten und den schaurigen Pfropf in den Armen.
    Fügte sich das lederhäutige Mumienbündel nicht auf unheimliche Weise zum Gestammel des Nabellosen, der nicht müde wurde, einen auf Lederschwingen herbeischwebenden
    »Drachen der Nacht« zu beschwören? Glücklicherweise war auch Flor auf Burg Krumau zurückgeblieben, behütet von der Zofe Lisetta, die sich in den Goldgelockten wie in ein atmendes Spielwerk vergafft zu haben schien. Und glücklicherweise schien auch niemandem die Analogie in den Sinn zu kommen, ausgenommen d’Alembert, der sich hütete, den heiklen Punkt zu berühren. Es gab schon genug, übergenug, worum man sich sorgen musste.
    Von der Dorfkirche läuteten bereits zehn dünne Glockenschläge herauf, als von Breuner endlich im Rittersaal zu Tisch bitten ließ. Der dürre Haushofmeister hustete zum Erbarmen, mit Leidensmiene schlug er den Gong, den sie, in Leinen gewickelt, ebenso auf die Reise mitgenommen hatten wie fünfzig Gedecke, Porzellan und Bestecke, jeder Teller, jede Tasse einzeln in Seidenpapier gehüllt. An den Höfen Prags oder Wiens mochte es üppiger zugehen, der Graf von Krumau jedoch konnte sich kein Reiseservice für Herrschaft und Gefolge leisten, und hier droben im Kastell hatten sie keinen einzigen rostigen Topf vorgefunden, geschweige denn Kristallgläser, Porzellanschalen oder Goldbestecke.
    Zur Linken des Grafen sank der Maître auf seinen Platz, und die Tafel mit allen Höflingen und Huren, Künstlern und Schellennarren drehte sich ihm vor Augen. Als Sitzgelegenheiten dienten schlichte Holzbänke, einige sogar ohne Rückenlehne, die Tafel selbst bestand aus zusammengewürfelten Tischen, Brettern, rasch gezimmerten Holzböcken unterschiedlicher Höhe – eine Möblierung wie in der Räuberhöhle, dachte Charles. Da durfte man fast froh sein, dass die Kerzen in den rostigen Wandhaltern nur dürftiges Licht

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