Der Alchimist von Krumau
drei Säcke Stroh und drei Bündel Haderlumpen, Messer und Scheren in allen Größen und Formen, dazu Salz und Salpeter, dann Nähnadeln und Fäden, grobe und feine – verstanden, Gardist?«
Brodner wiederholte langsam, Wort für Wort, auch diese Befehle, und nur sein ungläubiger Tonfall ließ erahnen, wie eigentümlich ihm die Anordnungen erschienen.
Wenn der junge Herr Graf Hirsche und Rehe auszuweiden und die leeren Gehäuse mit Stroh und Lumpen auszustopfen wünscht, dann wird seinem Begehren entsprochen, das ist doch selbstverständlich, sagte sich Charles im Stillen vor, hielt es jedoch nicht für ratsam, diese Worte vor dem Gardisten laut zu wiederholen. Immerhin gab es heiklere Leidenschaften als das Präparieren von Hirschen und Kitzen, und seit Don Julius diese Schwärmerei vor einigen Jahren entdeckt hatte, versuchte er sich immer öfter an ausgeweideten Waldbewohnern, wenn auch mit mehr Begeisterung als Geduld und Geschick.
»Dann marsch und ab mit dir, Brodner, und reite wie der Wind, der Oberstkämmerer hat eine lange Nacht vor sich.«
Er blieb am Tor stehen, bis der Gardist, auf seinem Schimmel übereifrig weit nach vorn gebeugt, an ihm vorbeigeprescht war und die steile Burgstraße hinunterklapperte. Kurz darauf hörte der Maître schon das Hallen der Hufe unten auf der Moldaubrücke. In einer Stunde würde die Sonne untergehen, aber Franz Brodner war ja aus der Gegend, er kannte den Weg im Schlaf.
D’Alembert dagegen war heilfroh, dass er heute nicht mehr durch die Nacht reiten musste. Dabei galt er als brillanter Chevalier, mehr als einmal hatte er selbst erfahrene Kavalleristen bei kaiserlichen Turnieren mit seinem Schimmelhengst deklassiert. Was ihm an körperlicher Stärke fehlte, pflegte er durch Willenskraft und vorausahnende Geschmeidigkeit wettzumachen, so hatte er auch seinen Zögling höchstselbst in der Reit-und Degenkunst unterrichtet, von den Anfangsgründen bis zu Julius’ sechzehntem Jahr. Ich werde alt, dachte der Maître nun, noch ein paar Jahre, dann muss ich abtreten, wie jeder kluge Bändiger, ehe die Bestie seine Schwäche wittert. Über den Burghof ging er zurück, mit langsamen Schritten, wie um die mühsamen Bewegungen des Alters vorab zu erproben, vorbei an dem Schutthaufen, aus dem Brennnessel und Brombeer sprossen, und im Schatten zwischen Schutt und Haus stand Markéta von Ludanice.
»Verzeiht die Störung, Ihr seid in Gedanken, Maître. Eine Frage nur, wenn Ihr erlaubt.«
Er sah zu ihr empor, in ihre grünen, hellwachen Augen, die Gefühl und Willensstärke verrieten, und eine Woge der Zuneigung stieg in ihm auf. Ihr könnte er vertrauen, dachte Charles, natürlich nur in Maßen, aber in ähnlichem Grad wie Julius’ Mutter, der listenreichen Katharina da Strada. »Bitte fragt, Madame«, sagte er und behielt vorsichtshalber seine verschlossene Miene bei, so als ob er noch immer halb in Gedanken wäre, »womit kann ich Euch helfen?«
Sie trat näher zu ihm heran, einen halben Kopf größer als er, ihr Gesicht nun vom Abendrot beglänzt. »Mich beunruhigt der Zwischenfall von heut Mittag, in gewisser Weise fühl ich mich verantwortlich«, sagte sie. »Glaubt Ihr, dass Nicodemus auf der Burg in Sicherheit ist?«
»Nicodemus«, wiederholte Charles, »das ist der Kleine, den der Pfeil getroffen hat?« Anstatt auf ihre Antwort zu achten, sann er seinen eigenen Worten hinterher – vom Pfeil getroffen, das konnte auch entschieden anderes bedeuten als einen Jagdunfall. Von den höheren Mächten zur Liebe bestimmt, einer oftmals unglücklichen, nicht selten aufzehrenden Liebe. Aber gerade deshalb haderte er ja mit Don Julius’ Beschluss, schon morgen nach Krumau zurückzukehren: weil er fürchtete, dass die Wunde in jenem Schenkel weit mehr als ein blindes Unglück war.
»Ja, eben der – Nicodemus Kudaçek«, erklärte Markéta in drängendem Tonfall, offenbar zum wiederholten Mal. »Ihr scheint auch Befürchtungen zu hegen, Maître? Etwa wegen seines Begleiters, dieses – Tákie?«
»Der Russe?« D’Alembert sah sie in ehrlichem Erstaunen an.
»Ich habe so gut wie Ihr gesehen, Madame, dass Hezilow und seine Gehilfen Euren Nabellosen einzufangen versuchten. Aber was sollte ihnen der falsche Homunkel nützen?«
»Was genau sie in den Kellern unter der Burg treiben, weiß ich auch nicht«, sagte Markéta, deren Ton immer heftiger wurde,
»und ich bet zu Gott dem Herrn, dass ich niemals gezwungen sein werde, es in Erfahrung zu bringen. Aber eins weiß ich genau,
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