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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Höflinge umher, durch die verfrühte Rückkehr der Jagdgesellschaft aufgescheucht. Sie trat durch die Tür und eilte die Treppe hinauf, drei Geschosse bis zu den Frauengemächern.
    Warum sollte Flor nicht wohlbehalten sein, in Lisettas Obhut, wie sie ihn zurückgelassen hatte? Trotzdem klopfte ihr das Herz, als sie oben ins Empfangszimmer trat, vorbei an zwei Gardisten, die sich beflissen vor ihr verneigten. Drinnen fand sie Flor und dachte als Erstes: Gott sei gelobt; dann erst fiel ihr auf, wie sonderbar starr der Nabellose vor ihr saß.
    Er hockte auf dem Boden, halb unter den Tisch geduckt, der zwischen den lachsfarbenen Sofas stand. Sein Blick war abwesend, fast gläsern. Auch als sie auf ihn zukam, blieb seine Miene starr, als ob er eine Fremde vor sich sähe.
    »Flor! Was ist mit dir!« Sie kauerte sich neben ihn, mit Knien und Zehen im Teppich versinkend. »Lisetta! Wo bist du? Nun redet schon – was ist mit Flor?«
    Die blonde Zofe stürzte herbei, bei ihrem Anblick schien Flors Gesicht aufzuleuchten. »Es … fing gestern Mittag an, Madame.« Stockend, mit brennend roten Wangen berichtete Lisetta: wie Flor auf dem Sofa gesessen hatte und plötzlich aufgesprungen war. Wie er im Stehen erstarrt war, das Gesicht schreckverzerrt, den Blick auf sie geheftet – »wie eine Steinfigur, so und nicht anders, Madame!«
    Stunde um Stunde hatte er auf ein und demselben Fleck gestanden und den Teppich vor seinen Füßen angestarrt, als ob es eine Grube voller Schlangen wäre. Dazu hatte er gefiept und gewinselt, »wie ein verängstigtes Hündchen, so: fi-fiiep!, Madame.« Bis auf einmal, nach Stunden und Stunden, ein Schrei aus seinem Mund gebrochen war:
    »Der Drach’, der alte Drach’!« Und da hatte sich Flor zu Boden geworfen, flach auf die Brust gepresst, die Beine an den Leib gezogen, die Arme um den Kopf geschlungen – »es war zum Fürchten, Madame, ich musste selbst immer wieder nach oben schauen, ob nicht wirklich von dorther ein Drache geflogen käm. ›Der schwarze Vogel‹, ›kalt, so kalt‹, ›der alte Drach’‹, Madame, so hat der arme Flor immerzu geweint und gewimmert, an den Boden gepresst hat er dagelegen, bis es draußen schon dunkel war. Dann bin ich rumgegangen, um die Lichter anzuzünden, und wie ich wieder hier vorne ankomm, sitzt Flor auf dem Teppich, fast genauso wie jetzt. Und hat sich seither kaum bewegt, ich wollt ihn zu Bett bringen, Madame, aber wenn ich ihn auch nur am Arm anrühr, fängt er gleich wieder an zu schreien: ›Der alte Drach’!‹«
    »Und er war die ganze Zeit hier bei dir?«, fragte Markéta.
    »Tag und Nacht, Madame.«
    »War jemand hier oben bei euch – etwa Hezilow?«
    Die Zofe schüttelte den Kopf so heftig, dass ihre dünnen Zöpfe flogen. »Die Soldaten stehn ja vor der Tür, Madame, wie Ihr befohlen habt.« Sie schniefte in ihre Schürze.
    »Beruhig dich, Lisetta, ich glaub dir ja.« Trotzdem musste es dem Puppenmacher gelungen sein, auf irgendeine Weise mit Flor Verbindung aufzunehmen, überlegte sie, durch einen teuflischen Zauber vielleicht, auch wenn sie nach wie vor nicht glauben mochte, dass der zwergische Lumpenkerl tatsächlich derlei dunkle Kräfte besaß. Er macht die Leute glauben, dass er’s vermag, dachte sie, er spielt mit unsren Hoffnungen und Ängsten, mit Grauen und Ehrsucht wie ein Schachspieler mit den hölzernen Puppen auf dem Brett. Aber noch immer sträubte sich in ihr alles gegen den Gedanken, dass Hezilow lebendige Puppen erschaffen könnte und dass Flor, ihr lieber Flor, eine solche Kreatur des Warzenfrätzleins wäre.
    Während sie überlegte, sah Markéta unverwandt den vor ihr Kauernden an. Seine zwiefarbenen Augen schienen gedunkelt von rätselhaften Qualen, doch in seiner Miene meinte sie nun eine Ahnung zu entziffern, eine Verwunderung zumindest, so als ob er sich ihrer zu erinnern begänne.
    Behutsam legte sie eine Hand auf seinen Arm. Flor duldete die Berührung, nur leise erzitternd, und er sträubte sich auch nicht, als sie ihn um die Schultern fasste und sanft emporzog.
    »Komm«, flüsterte sie, »komm mit mir, armer Flor.«
    Sie brachte ihn in die Badekammer mit dem großen Zuber. Auf dem Teppich, wo er die ganze Nacht über gelegen oder gekauert hatte, waren Flecken eindeutiger Herkunft zurückgeblieben, auch seine Kleidung roch nach Schweiß und herberen Sekreten. Doch was die Ausdünstungen des menschlichen Leibes anging, war die Baderstochter Ärgeres gewohnt, und im Unterschied zu Mutter Bianca hatte sie sich

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